„Das Virtuelle funktioniert ja nur, weil man sich kennt“

Nicht erst während der Home-Schooling-Phase, sondern bereits davor haben die beiden Sozialarbeiter darauf gesetzt, mithilfe der digitalen Medien, beispielsweise per Videokonferenzen, Kontakt zu den Jugendlichen aufzunehmen und zu erhalten.

Foto: AKS

Kronberg (kb) – Seit zwei Wochen können die Schülerinnen und der Schüler sie wieder in ihrem RatHaus besuchen – die Schulsozialarbeiter der Kronberger Altkönigschule. Und dieses Angebot ist in den Bildungseinrichtungen des Hochtaunuskreises etwas ganz Besonderes, denn welche Schule kann ihrer Schulgemeinde schon den Blick einer Soziologin, eines Sozialpädagogen und eines Theologen auf vorhandene Sorgen und Nöte bieten ?

Initiiert wurde die Schulsozialarbeit an der AKS bereits vor 13 Jahren, als die Schulleiterin noch Dr. Weber hieß und ihr Stellvertreter Klaus Deitenbeck war, mit dem die Soziologin Kathrin Böhm in Kooperation mit dem Dekanat Kronberg ein Trainingsraumkonzept erarbeitet hat. Ziel war es, mit den Kindern, die im täglichen Unterrichtsgeschehen negativ auffielen, soziales Verhalten zu trainieren. Also entsandten die Lehrer „Unterrichtsstörer“ in den Trainingsraum. Als zwei Jahre später der Sozialpädagoge Jakob Friedrich sowie der Theologe Mickey Wiese Böhms Platz einnahmen, war ihnen dieses pädagogische Konzept noch nicht weitgehend genug, weshalb sie die „Lounge-Idee“ entwickelten: Schülern einen Rückzugsraum anbieten, vor allem in deren großen Pausen. Dadurch ist es den beiden gelungen, dass Rat suchende Kids sie aufsuch(t)en, ohne durch eine Lehrkraft aufgrund eines Regelverstoßes geschickt worden zu sein. Friedrich erklärt, dass mittlerweile nur noch 40 Prozent der Schüler auf Anweisung und somit mehr als die Hälfte von ihnen selbstständig kommen. Ein großer Teil vorhandenen Konfliktpotenzials könne so abgebaut werden, ehe es im Unterricht eskaliere. Auf dieses Doppelkonzept war und ist man zu Recht stolz, wollte dies daher auch im Namen ausdrücken, sodass aus dem „Trainingsraum“ vor drei Jahren das RatHaus der Altkönigschule wurde. Eine weitere Besonderheit ist jedoch auch die spirituelle Ebene der Beratung. Oft biete es sich an, erzählt Wiese, mit Jugendlichen, die Moslems oder Hindus sind, in eine Diskussion über Religion und deren Bedeutung für ihren Lebensalltag einzusteigen. Es gehe nicht darum, missionarisch zu agieren, sondern vielmehr wahrnehmend und wertschätzend. „Dann merken die Jugendlichen, dass man sie ernst nimmt“, betont der Dipl.-Theologe, der seine Erfahrung auch als einer der beiden Jugendkoordinatoren der Stadt Kronberg zur Verfügung stellt, um zwischen den Bedürfnissen älterer Einwohner und denen der Jugendlichen zu vermitteln.

Die Finanzierung dieser Einrichtung ist ebenfalls außerordentlich: Während Friedrich über Landesmittel bezahlt wird, fließen Gelder von mehreren Institutionen, um Wieses Einsatz zu ermöglichen: Stellvertretend seien der Hochtaunuskreis, die Stadt Kronberg, das Dekanat Kronberg und das FörderForum der AKS genannt. Ganz besonders freuen sich die beiden Schulsozialarbeiter über ihre weibliche Verstärkung. Seit einiger Zeit ist keine Geringere als Kathrin Böhm wieder einmal die Woche im RatHaus tätig.

Nicht erst während der Home-Schooling-Phase, sondern bereits davor haben die beiden Sozialarbeiter darauf gesetzt, mithilfe der digitalen Medien, beispielsweise per Videokonferenzen, Kontakt zu den Jugendlichen aufzunehmen und zu erhalten. „Der Shutdown beendet vorhandene Konflikte ja nicht“, meint Wiese, der selbst viel in sozialen Netzwerken unterwegs ist, „daher können uns sowohl die Jugendlichen als auch ihre Eltern direkt kontaktieren oder die Eltern ihre Kinder animieren, uns um Rat zu fragen“, ergänzt Friedrich. Schließlich verbrächten aufgrund der Ausgangsbeschränkungen viele Familien, oft in wenigen Räumen, viel Zeit zusammen, sodass alte Konflikte aufbrächen und weder Schule noch Arbeit als Fluchträume vorhanden seien.

Die große Wichtigkeit der Schule als Ort, wo man hingehen kann, betonen beide. „Die Jugendlichen nutzen die neuen Medien, um bereits existierende Kontakte zu pflegen, wobei sie beim Kommunizieren das Bild ihrer Freunde immer noch im Kopf haben“, erklärt Wiese. Dabei stehe für die Jugendlichen das Reale – entgegen vieler Annahmen – im Vordergrund. „Das Virtuelle funktioniert ja nur, weil man sich kennt“, ergänzt Wiese, „viel wichtiger ist das, was man unternehmen kann, wenn der Shutdown aufgehoben wird“. Und so sei das Virtuelle lediglich Vermittler zwischen Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes und der Freude auf zukünftig Geplantes.



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