Ein zweigeteilter Abend – Yuriy Gurshy zu Gast in der Kronberger Bücherstube

Kronberg
(kb) – Circa 30 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich eingefunden, um von Autor und Musiker Yuriy Gurshy etwas über die aktuelle jüdische Musik in Deutschland zu erfahren. Yuriy Gurshy ist Ukrainer, vor 48 Jahren wurde er in Charkiw geboren. Anfang der 90er Jahre gab es in Deutschland politisches Asyl für Menschen aus dem Osten, die dem jüdischen Glauben angehörten. Der Glauben hat in den Familien nicht immer eine wichtige Rolle gespielt. So lautet das erste Kapitel seines Buches „Richard Wagner und die Klezmer Band“: „Die gute Nachricht ist, – wir können emigrieren – die schlechte ist, wir sind Juden.“ In dem Buch hat Gurshy mehr als zwanzig Stimmen versammelt, die alle zur jüdischen Musik in Deutschland Stellung nehmen und Geschichten erzählen. Eine Stimme ist seine, und diese hat er vorgestellt. Der Bogen spannt sich von seinem Großvater, dem seine Geige zwar 1941 gestohlen wurde, nicht aber seine Musikalität, bis zu Serhij Zhadan, dem Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2022, mit dem er lange befreundet ist und auch jetzt wieder eine CD in der Ukraine aufnimmt. Unterstützt von exemplarischer Musik und Bildern aus den jeweiligen Zeiten erzählte er vom Swing der Barry-Sisters, die er erst für Schwestern seines Großvaters hielt, von den verschiedenen Klängen im Hinterhof am Prenzlauer Berg und der Russendisco, die er mit Vladimir Kaminer in Berlin erfunden hat. Soweit der erste Teil.

Der zweite Teil der Veranstaltung war nicht geplant, aber folgerichtig ein Beitrag zur aktuellen Situation in der Ukraine. Yuriy Gurshy schreibt seit dem 25. Februar 2022 jede Woche mindestens zwei Kolumnen in der TAZ zu dem „großen Krieg“. 2022 war er im Dezember in der Ukraine unterwegs, unter anderem in Charkiw, hat Freude besucht, ein Konzert mit Serhij Zhadan gegeben und diese Eindrücke in seinen Kolumnen wiedergegeben. Von dieser Reise hat er berichtet. Seine Familie konnte er in der Ukraine nicht mehr besuchen, weil die mittlerweile vollständig in Berlin ist – auch das wäre eine ganz eigene Geschichte. So erzählte er von der App für Raketenalarm, von der Dunkelheit, weil, auch wenn der Strom eingeschaltet ist, keine Straßenlaterne leuchtet, alle Fenster verdunkelt bleiben. Und er erzählte von der Panik und Orientierungslosigkeit in diesen dunklen Straßen, in denen gewohnte Häuser oder Häuserteile fehlen und von dem Weihnachtsbaum in der U-Bahn, der sonst immer oben auf dem Platz stand und 30 Meter unter der Erde einen sicheren Ort verspricht.

Und er erzählte von Musikprojekten, die trotz der Situation in der Ukraine realisiert werden sollen und von einem Hilfsprojekt für Hunde und Katzen, die auf der Flucht zurückgelassen wurden und jetzt unter anderem Wasser brauchen. Wasser, das ohne Strom nicht gepumpt werden kann, weshalb ein Generator beschafft werden musste. Vierhundert Euro kamen an diesem Abend als Spenden zusammen, die direkt per PayPal überwiesen wurden. Es war ein bewegender Abend, der Fragen beantwortet, aber auch viele Fragen offengelassen hat.



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