Das alte Lindenbäumchen denkt jetzt für Wanderer laut

Wanderer, kommst du zum Lindenbäumchen, dann gibt es jetzt bei Bedarf zum optischen Kunst- und Naturgenuss auf noch „was auf die Ohren“. Der QR-Code auf der neuen Info-Stele lenkt direkt zu einer Vorlesung aus dem Buch „Der Baum denkt“. Foto: js

Oberursel (js). Wanderer kommst du zum alten Lindenbäumchen, dann kannst du dir jetzt einen erzählen lassen. Du musst nur ein Handy dabeihaben mit einer installierten App, die QR-Codes scannen kann. Dann kannst du immer wieder zuhören, was für Geschichten die Autorin Saskia Hennig von Lange zum Jahrhunderte alten Lindenbaum zu erzählen hat. Ihre Fans kennen sie schon aus Live-Übertragungen, zwei Jahre lang zwischen Oktober 2017 und Ende 2019 haben viele treue Fans bei Wind und Wetter direkt neben dem inzwischen umgefallenen Baumrest im weißen Stahlrahmen den Geschichten gelauscht, die sie dort erzählt hat. Die Veranstaltungen zum Thema „Der Baum denkt“ waren eine Hommage an den von vielen Menschen geliebten Baum, der als Naturdenkmal zur Feldgemarkung zwischen Oberursel und Bad Homburg gehörte wie das Ackerland um ihn herum.

Auch die einstigen Kritiker, die das Kunstwerk „Lindenbäumchen, gerahmt“ des Künstlerduos Winter/Hoerbelt bei der Aufstellung im Sommer 2017 als Verschwendung von Steuergeld gescholten hatten, haben sich inzwischen an den Anblick gewöhnt. Der acht mal acht mal acht Meter große, massive Rahmen ist zur neuen Landmarke unweit der Autobahn 661 geworden, die Corona-Pandemie, die den Mensch aus der Stadt verstärkt in das freie Feld getrieben hat, beschert dem Kunstobjekt mit Baum zu allen Jahreszeiten viel vorbeilaufendes, radelndes und joggendes Publikum, zu gewissen Stunden auch reichlich Besuch von feucht-fröhlichen Gästen, die nach einem Umtrunk mit Imbiss gerne mal ihre mitgebrachten Utensilien vergessen. Das wird dann vom BSO weggeräumt, meist geht es am „Lindenbäumchen“, wie es immer noch heißt, gesittet zu. Und Wanderer oder Spaziergänger, wenn du jetzt vorbeikommst und bereit bist, einen Moment innezuhalten, kannst du direkt neben dem dreidimensionalen Bilderrahmen für die einst so prächtige Linde vielleicht ein bisschen von der Erhabenheit spüren, die sie über so viele Jahre ausgestrahlt hat. Auch wenn sie da jetzt liegt wie tot, aber keineswegs tot ist. Denn immer noch produziert sie kleine Triebe im hohlen Stamm, die noch Wurzelverbindung zum Boden haben. Der Zerfall als Teil des natürlichen Prozesses im Leben eines Baums beinhaltet noch immer ein bisschen Leben. „Der Baum denkt“ vielleicht noch immer und hat weiterhin Geschichten zu erzählen, wenn man sie hören will.

An dem schlichten Tisch, der an der alten Gerichtslinde zum Verweilen einlädt, haben Kunstsachverständige aus dem Rathaus jetzt eine schlichte Stele installiert, die an das Projekt „Der Baum denkt“ und das daraus entstandene Buch erinnert, das die Autorin in Zusammenarbeit mit ihrem Publikum entwickelt hat. Dort ist der QR-Code platziert, über den Auszüge aus dem Buch zu hören sind. Und tatsächlich sieht man das eine oder andere Mal den einen oder anderen Spaziergänger in Gedanken vertieft dem Baum lauschend an der Stele stehen. Hörfassung und Buch sollen dazu beitragen, dass der in mindestens vier Jahrhunderten gewachsene Anknüpfungspunkt in der Landschaft auch in diesen Zeiten als Stück lokaler Identität erhalten bleibt.

!Das Buch „Der Baum denkt“ von Saskia Hennig von Lange ist im Verlag Henrich Editionen, Frankfurt, erschienen und kostet 14,95 Euro. ISBN: 978-3-96320-043-4.



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