Oberursel (fch). Vier Tage lang wurde in Stierstadt Kerb gefeiert. Seit 2019 hatten die Stierstädter und ihre Gäste sehnsüchtig darauf gewartet. Jetzt „wackelte“ das vollbesetzte Festzelt wieder unter den Jubelrufen und dem Applaus der fröhlich mitsingenden, feiernden und tanzenden Besucher. Die 51. Zeltkerb war nach übereinstimmender Aussage der Aktiven und ihrer Gäste ein voller Erfolg. Getreu der Devise „Willkommen sei, wer sich vergnügt beim Appelwei“, floss das gut gekühlte, hessische Nationalgetränk frisch gezapft aus dem Fass erst in die Bembel, dann ins Gerippte und schließlich durch die vertrockneten Kehlen.
Das Kerbeprogramm war ganz nach dem Geschmack der Besucher. Verschiedene Bands sorgten an allen vier Kerbetagen für Abwechslung und Stimmung und Betrieb auf der Tanzfläche. Da wurde lauthals mitgesungen und geschunkelt und sich in geselliger Runde des Lebens gefreut. „Schreiben Sie, wir waren richtig ausgehungert und haben diese Portion Lebensfreunde in vollen Zügen genossen“, sagte eine Besucherin am Montag. Am Nachbartisch saß eine Familie im korrekten Kerbe-Outfit. Auf den blauen Shirts steht in weiß aufgedruckt: „Stierstädter Mädsche“ oder „Stierstädter Bub“.
Während sich der Nachwuchs auf dem Karussell oder im Autoscooter vergnügte, sich beim Kinderschminken ein perfektes Glitzer-Tattoo auftragen ließ oder sein Glück am Schießstand versuchte, wurde im und rund ums Festzelt Kerb gefeiert. Dabei spielen Tradition und Moderne eine wichtige Rolle. Kerberöffnung mit Fassbieranstich, Kerbumzug, gut gelaunte „Kerbemädsche“ und trinkfeste Kerbeburschen, Kerbgottesdienst, Frühschoppen, Kerbepaar und der Einzug des „Grafen von Luxemburg“ samt Gefolge sowie der Gickelschmiss sind feste Bestandteile der Stierstädter Kerb.
Auch der Auftritt von Tanzgruppen aus Stierstädter Vereinen am „Tag der Kerbeburschen“ gehört am Montag zum Programm. Immer wieder angeheizt wurde die Stimmung im Festzelt von den Fahnen schwenkenden, singenden und tanzenden Kerbeburschen. Nicht nur die Fahnen, sondern auch die Trommel mit dem Gickel wird an allen vier Kerbtagen kräftig geschwenkt. „Als ich 1969 Kerbemädschen war und mit einem Freund das Kerbepaar verkörperte, saß in der Trommel noch ein richtiger Hahn. Der bekam an den Kerbetagen Äppelwei zu trinken und hatte nach der Kerb noch ein schönes Leben. Damals hat man es mit dem Tierschutz nicht so strenggenommen. Seit einigen Jahren sitzt in der Trommel kein stolzer Hahn mehr, sondern ein federloses Gummiexemplar“, sagt Annemarie Blessin, geborene Seidenthal.
Einer anderen Besucherin – eine gebürtige Stierstädterin, die schon lange nicht mehr im Ort wohnt, aber jedes Jahr zur Kerb wieder heimkommt – fällt eine weitere Neuerung auf. „Früher war das Kerbepaar nicht verheiratet. Ein Kerbebursch und ein Stierstädter Mädchen, beide nicht verheiratet oder verlobt, repräsentierten ein Jahr lang die Kerb und die Gemeinde.“ Zum Kerbepaar 2022 gekürt wurden unter dem Jubel und Beifall der Besucher die Stierstädterin Rebecca Jago, geborene Bender, und der Kerbebursch Johannes Ernst. Bevor die beiden neuen Repräsentanten ihr Ehrenamt antraten und mit einem kräftigen Schluck Äppelwoi und flottem Tänzchen auf der Bühne besiegelten, standen Jubiläen an.
Geklappt hat das mit dem Kuppeln beim Kerbepaar vor 25 Jahren. Da standen Kerstin und Rainer Schneider auf der Bühne. Die beiden Stierstädter sind im Kerbebrauchtumsverein, bei der Freiwilligen Feuerwehr und im Karnevalverein aktiv und bis zum heutigen Tag bestens in Stierstadt vernetzt. Ebenfalls geehrt wurde Ex-Kerbebursch Jürgen Bender. Er bildete vor 40 Jahren gemeinsam mit Angelika Keller das Kerbepaar und beherrscht die Kunst des Gickelschmiss’. Die besteht darin, mit einem Dreschflegel und verbundenen Augen ein Dippe – sprich Tontopf – zu treffen und zu zerschlagen. Ganz früher fand sich unter dem Tontopf als Gewinn ein lebender Hahn. Das war vor allem für arme Bürger ein stolzer Preis, da Fleisch nicht häufig auf dem Tisch stand. Heute sind die Gickel unter dem Tontopf meist durch Gutscheine ersetzt. An der Beliebtheit des Kerbespiels hat dies nichts geändert.
Mit Spannung erwartet wurde der Höhepunkt des Frühschoppens mit dem Einzug des Grafen von Luxemburg (Michael Muschik). Zu seinem Gefolge gehörten als „Metzger“ Kerbebursch Patrick Thomas und die Ex-Grafen Maurice Reitershan (Graf von 2012 bis 2016) und Johannes Bender (Graf von 2016 bis 2019). Eskortiert wurde seine Grafschaft von den tanzenden Kerbeburschen. Voller Freude verkündete Graf Michael I.: „Es gibt nichts Schöneres“. Er dankte allen Helfern, die zu finden immer schwieriger sei und wünschte sich, dass die Stierstädter Kerb noch viele Jahre alle Moden überlebt und gefeiert wird.