Der Hauptfriedhof wandert an den Waldrand

Schlichte Architektur im modernen Gewand, Glasfenster, die bei Sonnenlicht einen warmen Glanz in das Innere der Trauerhalle werfen. Architekt Friedel Kern und der Künstler Georg Hieronymi haben ein zeitlos passendes, zurückhaltendes Gesamtwerk gestaltet. Foto: js

Oberursel (js). Mit Orgelspiel und Gebeten, mit Grußworten wichtiger Männer und geführten Besichtigungsrunden wurde der neue Hauptfriedhof am 16. März 1971 eingeweiht. Viele Menschen waren gekommen, die 120 Sitzplätze in der neuen Trauerhalle reichten nicht aus. Viele Besucher mussten mit Stehplätzen vorliebnehmen, als Bürgermeister Heinrich Beil die örtlichen Honoratioren und die Bürger der Stadt begrüßte. Ein halbes Jahrhundert ist es nun her, dass der heutige Hauptfriedhof in den Nordwesten an den Waldrand verlegt wurde, eingebürgert haben sich zwei Namen, Hauptfriedhof und Waldfriedhof. Ein Waldstück von rund 25 Hektar Größe zwischen der Theologischen Hochschule an der oberen Altkönigstraße und der Hohemark hatte bei der Wahl eines dringend nötigen neuen Standortes aus drei Alternativen das Rennen gemacht. Sukzessive sollte hier der Wald fallen, wenn die Grabflächen erweitert werden müssen.

Die neue Ruhestätte für die Toten bedeutete eine Zäsur im Beerdigungswesen der Stadt. Die heutige Kernstadt verfügte bis dahin nur über einen Friedhof im Süden, hart an der Grenze zu Bommersheim. Nun sollten dort nur noch Oberurseler zur letzten Ruhe gebettet werden, die zu Lebzeiten südlich der Bahnlinie, die die Stadt in Höhe des Bahnhofs trennt, gewohnt haben. Nur sie werden dort neue Grabstätten erhalten, legte die geänderte Satzung fest, es sei denn, Interessierte können frühere Belegrechte durch den Besitz von Wahl- oder Erbgräbern nachweisen. Zu eng war es geworden auf dem südlichen Friedhofsgelände mit seinen knapp 5,5 Hektar, die alten Grabstätten reichten nicht mehr aus, das war absehbar, der starke Bevölkerungszuwachs forderte ein neues Konzept. Eine Erweiterung unterhalb der Bommersheimer Straße gehörte zu den Alternativen, die verworfen wurden, zu sehr war das Gelände damals schon von Hochbauten umgeben, als Mitte der 60er-Jahre der Beschluss zum neuen Friedhof gefasst wurde.

Im Jahr 1969 werden auf dem Südfriedhof 270 Bestattungen registriert, das älteste Grabmal stammt aus dem Jahr 1729. Noch älter die unter Denkmalschutz stehende kleine Kapelle mit dem dreifachen Pestkreuz von 1618, in einer Chronik wird der Friedhof erstmals 1593 erwähnt. Nun ist er an seine Grenzen gekommen. Im Stadtwald wird schon fleißig gerodet, die neuen Grabflächen werden vorbereitet, die Trauerhalle wird in modernem Stil der Zeit für rund 800 000 Mark geplant. Bei ihrer Gestaltung spielt der Oberurseler Künstler Georg Hieronymi eine wichtige Rolle. Knapp 1,6 Millionen Mark wird der erste Bauabschnitt am Ende kosten, noch wird für die Eröffnung nur auf einer kleinen Teilfläche gearbeitet, die zu einer parkartigen Anlage rund um die Gräberfelder werden soll.

Am westlichen Rand, aber dennoch im Zentrum auf dem höchsten Plateau, wächst die bewusst flach gehaltene dreiflügelige Trauerhalle. Auch auf einen Glockenturm wird bewusst verzichtet, nichts soll aus der „Waldkulisse“ herausragen. Trauergäste und Besucher erreichen die Halle vom Haupteingang aus und sehen sie schon von weitem, der große Feierraum öffnet sich zu einem weitläufigen Vorplatz, über den hinweg die Trauergemeinde dem Sarg zum Grabe hin folgen kann. Acht Totenzellen sind in einem zweiten Flügel eingerichtet, der dritte Flügel enthält Aufenthaltsraum und Räume für technische Anlagen. Die Planung für das Gesamtkonzept lag damals in der Hand von Architekt Friedel Kern, langjähriges Mitglied der SPD-Fraktion im Stadtparlament. Den Auftrag für die gesamte künstlerische Gestaltung erhielt Georg Hieronymi (siehe nebenstehenden Text).

Bei der Planung der verkehrlichen Anbindung hat die Stadt noch rechtzeitig einen strategischen Schwenk vollzogen. Ursprünglich sollte der neue Hauptfriedhof einst über die Altkönigstraße angefahren werden. Diese hätte dazu ab Theologischer Hochschule mitten durch den Stadtwald erweitert werden müssen. Das Teilstück, ein „beliebter Spazierweg der Oberurseler Bürger nach der Hohemark“, wie es damals hieß, blieb erhalten, die Hauptzufahrt erfolgt über einen Abzweig von der Hohemarkstraße in Höhe des „Parkhotels Waldlust“. Dort biegt auch der Stadtbus ab, der längst in regelmäßigem Rhythmus den Friedhof anfährt und dort eine Pausen-Haltestelle hat. Anfangs war der Waldfriedhof noch nicht direkt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Mit der Straßenbahnlinie 24 (heute U 3) ging es bis zur Station Waldlust, von dort waren etwa 800 Meter Fußweg mit Steigung zu bewältigen. Testweise wurde im Frühsommer 1971 ein Kleinbus vom Marktplatz aus eingesetzt, eine Art Friedhof-Taxi.

Ausreichend Platz für die Zukunft

Als die Kunde vom neuen Friedhof die Runde machte, wurde vielfach kolportiert, dass die Stadt Oberursel „in fernerer Zukunft“ den alten Südfriedhof „ganz auflassen“, ihn aber als Grünanlage erhalten wolle. Inzwischen wurde aus der Not eine Tugend gemacht, etwa die alten Flächen der Friedhofsgärtnerei an der Geschwister-Scholl-Straße wurden in Bauland umgewandelt, das die Stadtvermarktet. Baupläne gibt es auch für ein Stück oberhalb des Haupteingangs hinter der bestehenden Bebauung an der Homburger Landstraße und für eine Wiesenfläche unterhalb der südöstlichen Begrenzung. Von Auflassung des Kerngeländes spricht niemand mehr. Auf dem Hauptfriedhof gibt es laut jüngster Statistik inzwischen 6513 Gräber, pro Jahr wurden dort zuletzt (2018 bis 2020) jeweils 170 Verstorbene beigesetzt. Weil die Zahl der Sargbeisetzungen abnimmt und die Flächen nicht so schnell wie erwartet belegt werden, werde die Fläche noch viele Jahre ausreichen, heißt es vom städtischen Bau & Service (BSO), der für die Friedhöfe in der Stadt zuständig ist.

Weitere Artikelbilder



X