Herbsttreiben in vielen bunten Farben

Der Schweiß-Simulator für Lernzwecke im Zelt von Schmied Dirk Velte (l.) ist der absolute Renner bei den Praxisübungen auf dem Handwerkermarkt. Coole Maske, digitales Schweißen mit Kontrolle am Bildschirm, die Hände – auch mit lackierten Fingernägeln – bleiben sauber, Spezialkleidung ist nicht nötig und das Ergebnis kann sofort in einem zweiten Anlauf korrigiert werden. Kostet allerdings 16 000 Euro. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Den finalen Tag werden alle Akteure und Besucher des „Herbsttreibens“ in der City und auf ihren drei wichtigsten Plätzen am meisten in Erinnerung behalten. Da strömten Tausende in die Stadt und belebten am verkaufsoffenen Sonntag das Zentrum. Bunt in allen Farben war die Stadt da, wie sich die Erfinder des Treibens im Herbst das mal so ausgedacht haben. „Handwerk erleben“ als oberstes Motto im vielfältigen Angebot, vor allem aber eine Kooperation von Handel und Handwerk, Gewerbe und Initiativen jeglicher Art. Die alle dazu beitragen, die Stadt in ihrem Kern lebens- und liebenswert zu gestalten.

Herbstwetter zum Herbsttreiben, so wünschen sich das die Handwerker. Frische acht Grad am Morgen, das passt, dazu Sonne und blauer Himmel, „für uns ist das perfekt“, sagt Jörg Krammich, der Gartenmeister und einer der Frontmänner der Handwerkergilde in jedem Jahr. Es passt, dass sich sein Betrieb stets in der Mitte des Handwerkermarkts rund um den Zunftbaum präsentiert. „Bloß kein Regen“. Sein Wunsch wurde erfüllt. Nach der Hitze im vergangenen Jahr kommt das gut so und stimmt das Handwerk optimistisch. Der Handwerkermarkt bleibt das Herzstück des Treibens, die Protagonisten wollen ja Schwung und frischen Wind in die Stadt bringen mit ihren Ideen und ihrer Werbung für bodenständige Arbeit. Nirgendwo lässt sich leichter und unverbindlicher über anstehende Arbeiten an Haus und Hof reden, Vertrauen aufbauen. Im richtigen Moment wird man aufeinander zugehen. Individuelle Lösungen sind immer gefragt.

Vernetzung auch hier das Zauberwort, die Werbetechnikerin Karolin Filbrich sieht das jedenfalls so. Sie ist im dritten Jahr dabei, Folieren oder zusätzliches Design etwa für Autos und schwere Motorräder ist ihr Metier. „Die Vernetzung ist super, ein Handwerker profitiert vom anderen durch indirekte Werbung“, sagt sie. Jeder weiß, was der andere kann, das hilft beim erweiterten Marketing. Es sind nicht mehr nur die, die sowieso immer da sind, nach Karolin Filbrich sind nun wieder zwei neue Betriebe dabei. Der fokus O. als Veranstalter läuft sich schon warm für sein Jubiläum im nächsten Jahr. Dann blickt er auf 175 Jahre wechselvolle Geschichte zurück, denn schon seit 1850 bilden die Handwerker eine der tragenden Säulen der Oberurseler Stadt- und Geschäftswelt. Und halten sich durch kreativen Geist und Innovation jung.

Schmied Dirk Velte etwa, stets auch Ausbilder und als Mitglied der Innung im Fachverband Metall Hessen organisiert. Er hatte diesmal ein Gerät dabei, mit dem Schweißen, einfach gesagt, simuliert werden kann. Lernen am Bildschirm, wie man eine saubere Schweißnaht zieht, ohne Ressourcen-Verbrauch, ohne Material, ohne Feuer, ohne spezielle Kleidung. Nur eine Maske wie aus einem Space-X-Film, sonst nichts, Lernkontrolle am Bildschirm. So wird Nachwuchs geworben, auf das Simultan-Schweißgerät haben sich aber auch Handwerker der unterschiedlichsten Professionen mit großem Interesse eingelassen.

„Handwerk erleben – Oberursel genießen“, dies war dann die erweiterte Überschrift über die Tage, an denen sich die „Orscheler“ und ihre Gäste aus dem Umfeld im Herbst nach Lust und Laune treiben lassen. Die Verbindung mit Kunst, Musik und Kulinarik soll da im Vordergrund stehen, für alle und jeden also etwas dabei sein. Wenn überall die Düfte durch die frühe Herbstluft wabern und die Töne irgendwo da oben verrauschen. Auch die vom Gesang reifer Herren auf der Rathausplatzbühne, einer Mischung aus Kolpingchor und Mag’schem Männerchor. Hunderte Jahre Chorerfahrung tummelten sich da, nur einer von vielen Top-Acts im Rahmenprogramm. Die in Schwarz und Weiß gekleideten singenden Männer suchen Nachwuchs, wie so viele traditionelle Chöre. Tänzer gaben da auf der offenen Bühne ihr Bestes, eine Big Band, ein Potpourrie, wenn man all die Töne zusammenmischen würde. Zwischen dem Geruch vom holländischen Fischwagen, türkischen Zigarettenbörek und „nackten Kartoffeln“, Flammkuchen und geschickt gebogener Hufeisenbratwurst, die das Essen im Brötchen mit Blick auf Senfspritzer und andere Kalamitäten leichter macht.

Ach, man könnte so viel erzählen über dieses Treiben im Frühherbst. Vom Äppeldorf natürlich auf dem Marktplatz. Da werden die Äpfel fast mitten auf der Straße direkt in der Handkelter zu frischem Süßen verarbeitet und zwei Liter inklusive Kanister für sieben Euro verkauft. Ein paar Schritte hinter dem Apfelweinbrunnen der HeiligenUrsula verkauft Batik-Designerin Michaela Vay selbst zarte Kimonos mit dem typischen blauen Bembel-Design, eine schöne Idee, die bei Apfelwein-Puristen gut ankommt. Und wenn dann noch die Traktoren, die der Landwirtschaftliche Förderverein Oberursel (LFO) mitgebracht hat, mal so richtig aufröhren, Herz, was willst du mehr. Knappe 154 Pferdestärken hat der Frontlader-Traktor Voltra unter der Motorhaube, ein Tausender pro PS sind da beim Kaufpreis schon fällig. Halb so groß der gute alte Lanz Bulldog von 1938 mit 25 PS. Aber die Herzen der Connaisseure schlagen viel höher.

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