Ein Kümmerer, der sich für die Menschen einsetzt

Unermüdlich im Einsatz für seine Stadt: Schon am zweiten Tag nach seiner Verabschiedung aus dem Amt stand „HGB“ wieder auf der öffentlichen Matte und verkaufte beim Flohmarkt seine in 18 Jahren verschlissenen Bürgermeister-Schlipse für einen guten Zweck an Fans. Und hatte dabei viel Spaß, hier mit Yvonne Sarasty Rodriguez. Foto: js

Oberursel. Ein Bürgermeister verlässt die Bühne. Nach 18 Jahren ist die Ära Hans-Georg Brum im Rathaus zu Ende gegangen. Für die „Oberurseler Woche“ sprach Jürgen Streicher mit dem Mann, der sein Leben der Politik und dem Amt als Meister der Bürger untergeordnet hat. Nach 40 Jahren Stadtparlament soll der stets gebuchte Donnerstagabend für „HGB“ nun zum wonnigen Donnerstag mit einem Glas französischem Rotwein werden.

Wissen Sie, wie viel Treppenstufen es sind vom Foyer des Rathauses bis hinauf ins Reich des Bürgermeisters?

Hans-Georg Brum: Genau weiß ich das nicht. Wir haben fünf Stockwerke mit jeweils etwa 18 Treppenstufen, nehme ich an. In der Summe wären das etwa 90 Stufen.

Das lassen wir mal so stehen. Wie oft, denken Sie, haben Sie die Stufen in den fünften Stock zu Fuß bezwungen?

Brum: Häufig habe ich mir das vorgenommen und den guten Vorsatz dann auch spontan umgesetzt. Nach zwei bis drei Tagen bin ich dann jedes Mal wieder in den alten Trott verfallen und habe den Aufzug benutzt.

Wie war das am vergangenen Donnerstag, die letzte Fahrt zum Büro im Rathaus? Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Brum: Da drehten sich meine Gedanken um die Verabschiedungsfeier am Abend. Haben wir an alles gedacht? Was ist noch abzustimmen?

Und jetzt ist alles vorbei?

Brum: So ist es! Aber was heißt alles vorbei? Mit 66 fängt das Leben erst an. Ich bin noch einigermaßen fit, habe in diesem Jahr acht bis neun Kilo abgenommen. Ich kann den Stress jetzt hinter mir lassen und viel freie Zeit genießen.

Kann man da so einfach einen Haken machen?

Brum: Nein, davon gehe ich nicht aus. Die Erlebnisse der 18 Jahre schwingen sicherlich bei vielen Begegnungen in der Stadt noch mit. Aber es gibt viele Dinge, interessante Dinge, mit denen ich mich nicht befassen konnte. Denen kann ich mich jetzt mehr widmen.

Erster Tag im Oktober 2003, der letzte Tag am 14. Oktober 2021, was lag dazwischen?

Brum: Für mich war das eine sehr schöne Zeit: hochinteressant, sehr lebendig, mit einer Fülle Überraschungen, durchaus fordernd, voller Leben, voller Kontakte und Termine, natürlich auch anstrengend. Aber alles in allem hat es fast immer Spaß gemacht. Eine Zeit, die ich nicht missen möchte.

40 Stunden, 50 Stunden, 60 Stunden, 70 plus? Mal ehrlich, haben Sie die 40-Stunden-Woche einmal geschafft?

Brum: Gelegentlich schon. Aber Sie haben recht. Meistens waren es 60 oder 70 Stunden, nicht selten auch mehr. Nach dem normalen Arbeitstag noch die Sitzungen am Abend.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit, ich erinnere mich genau, haben Sie gesagt, die 60-Stunden-Woche plus sei nicht Ihr Ziel. Was ist daraus geworden?

Brum: Das hat sich so leider nicht realisieren lassen. Aber wenn ich mir anschaue, dass viele ehrenamtliche Stadtverordnete zusätzlich zu ihrer Arbeit im Beruf oft zwei bis drei Abende in der Woche für die Kommunalpolitik dranhängen, dann zeigt das, dass es nicht nur mir so geht.

Wie gesundheitlich belastend ist denn das Leben als Bürgermeister? Der Tag hat nur 24 Stunden, das Pensum ist hart. 18 Jahre, jetzt sind die Kinder groß, irgendwelche Gefühle, hier vielleicht zu viel geopfert zu haben?

Brum: Natürlich ist das belastend. Schwierig war die Zeit für meine Familie. Ich war abends selten zu Hause. Meine Kinder Miriam und Robin waren gerade mal acht und sechs Jahre, als ich das Amt antrat. Meiner Frau Sabine habe ich in diesem Punkt sehr viel zu verdanken. Inzwischen sind die Kinder aus dem Haus. Die verlorene Zeit kann man nicht nachholen. Ob meine Gesundheit durch den Stress geschädigt wurde, kann ich nicht sagen. Über lange Jahre war ich nicht krank, jetzt machen sich kleinere Beschwerden bemerkbar. Aber ich denke, das ist altersbedingt ganz normal.

Ist in der Politik Teamwork und Job-Sharing wirklich so schwer?

Brum: Ich denke ja. Bürgernähe und regelmäßige Präsenz des Bürgermeisters, immer ein offenes Ohr … das kann man nicht delegieren. Als Bürgermeister sieht man sich doch sehr in der Pflicht. Und viele Bürgerinnen und Bürger erwarten das. Fast alle Kolleginnen und Kollegen sehen das so und handeln entsprechend. Die meisten, die dies nicht tun, werden nicht lange im Amt verbleiben.

Stets hat man Sie als omnipräsent wahrgenommen. „Der HGB ist überall“, hieß es immer, bis zuletzt zum internationalen Kanon mit Epinays Bürgermeister-Kollege bei der „Waldzeit“. Und er findet immer den richtigen Ton. Gab es auch Momente, in denen Sie sich fremd vorkamen in Ihrer Rolle?

Brum: Die Treffen mit den Bürgern haben immer wieder große Freude bereitet. Deshalb habe ich sie gesucht. Bis zuletzt omnipräsent? Aufgrund von Corona sind viele Termine zuletzt weggefallen. Kritisch und sehr belastend waren die vielen, oft ellenlangen Sitzungen. Manchmal drei oder vier Abende in der Woche, nicht selten bis 22 oder 23 Uhr. Das ging schon an das Nervenkostüm. Natürlich gab es da auch immer wieder Momente, in denen man sich fremd vorkam.

Was sind für Sie die wichtigsten Grundtugenden eines Bürgermeisters?

Brum: Ich denke, das habe ich schon in den Slogans in Wahlkämpfen zum Ausdruck gebracht. „Ideen, Tatkraft, Augenmaß“ beim ersten Mal. Oder im zweiten Wahlkampf „Herz, Verstand und Leidenschaft“. Das bedeutet: ein klares Konzept, Offenheit für neue Ideen, man kann gerne auch mal Dinge von anderen Städten übernehmen, die diese erfolgreich umgesetzt haben. Ganz wichtig: Gesprächsbereitschaft und Bürgernähe.

Was war das größte Verdienst der Ära Brum in Ihren Augen?

Brum: Herausragendes Ereignis war natürlich der Hessentag. Den haben wir so ausgerichtet, dass wir außer dem einmaligen Event das gesellschaftliche Leben in der Stadt deutlich modernisiert haben. Viele Vereine und Institutionen haben einen Aufschwung genommen. Es sind viele Initiativen, Aktivitäten, Netzwerke entstanden, die unser soziales, kulturelles Leben prägen. Und wir haben Ausbau und Modernisierung unserer Infrastruktur betrieben: Bahnhofsbereich, Schulen, Kinderbetreuung, Freizeit- und Sport, Radwege, Straßen, U-Bahnhaltestellen.

Was meinen Sie, denken die Oberurseler in dieser Frage?

Brum: Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Oberurseler dies auch so sehen.

Sie sind 2003 als erster SPD-Mann nach 25 Jahren zum Bürgermeister in der christdemokratischen Hochburg Oberursel gewählt worden, mit respektablen 61,6 Prozent im Stechen gegen den CDU-Kandidaten Thorsten Schorr. Damals, das darf man so sagen, haben Sie auch von einer inneren Spaltung der CDU profitiert. Bei Ihrer zweimaligen Wiederwahl haben Sie exorbitant hohe Werte erzielt, was ist da passiert?

Brum: Das können nur die Bürger selbst beantworten. Ich vermute, dass viele Wähler meinen Politikstil honoriert haben, der in vielen Punkten ja doch neu war: bürgernah, präsent, engagiert, kommunikativ, offen für neue Ideen und Anregungen. Kein lupenreiner Parteipolitiker, für den das Wort der Partei über allem steht, vielmehr einer, der sich für die Belange der Menschen einsetzt und bemüht, ein Kümmerer. Und eine ganze Reihe von Punkten konnten dann ja auch erfolgreich umgesetzt worden.

Waren Sie ein Bürger-Meister?

Brum: Ich denke schon. Lange Jahre hatte ich keine Mehrheit im Parlament, aber eine große Beliebtheit und deutliche Mehrheit in der Bürgerschaft. Darauf konnte ich mich stützen.

Wie haben Sie selbst Ihre Position in der Stadt definiert?

Brum: Ich habe mich oft sehr stark als Vermittler gesehen, als Vermittler der städtischen Politik zu den Bürgern hin, wie auch als Vermittler der Vorstellungen der verschiedenen Bürgergruppen in die Politik. Ich habe immer sehr offen in beide Richtungen kommuniziert, auch artikuliert, was geht, was meines Erachtens möglich ist, und was nicht geht. Bei vielen Menschen bin ich damit auf Verständnis gestoßen. Natürlich muss man erklären, wenn Vorstellungen unrealistisch sind und nicht umgesetzt werden können. Das nimmt einige Zeit in Anspruch. Aber die muss man sich dann noch nehmen.

Hat sich das im Laufe der Jahre geändert?

Brum: Ja, ich denke schon. Die Verhältnisse sind schwieriger geworden. Die Polarisierung hat zugenommen. Früher waren es drei oder vier politische Kräfte im Stadtparlament. Heute sind es acht.

Hand aufs Herz, was tut politisch am meisten weh?

Brum: Schmerzlich war in den letzten Jahren insbesondere der Umgang mit der Frage des bezahlbaren Wohnungsbaus. Wohnungen sind in Oberursel inzwischen so teuer, dass viele Menschen sich diese kaum noch leisten können. Noch verfügt Oberursel über eine gut durchmischte Bevölkerungsstruktur. Dies werden wir nur in die Zukunft retten können, wenn wir mehr preiswerten Wohnraum anbieten. Das geht nur mit flächenschonend gebauten Geschosswohnungen.

Und was war das absolute politische Highlight?

Brum: Das absolute Highlight war der Hessentag. Nicht allein deshalb, weil dieser einer der am besten besuchten und schönsten Hessentage in der Geschichte unseres Landes war. Nein, der Hessentag war Katalysator für viele wichtige, teilweise überfällige Investitionen in die Infrastruktur.

Ihr schönster Tag im Rathaus in all den Jahren, was fällt Ihnen da spontan ein?

Brum: Es gab für mich sehr viele schöne Tage im Rathaus. Ich habe mich immer gefreut, im Rathaus arbeiten zu können.

Und der mieseste überhaupt?

Brum: Ganz schrecklich war, als unlängst zwei relativ junge Kollegen innerhalb einer Woche völlig überraschend verstorben sind. Einen ganz miesen Tag hatte ich aber auch 2015, als ich erfuhr, dass wir als Stadt 45 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen müssen und damit die Gestaltungsmöglichkeiten über Jahre auf Null zurückgesetzt werden mussten.

Es gibt ein schönes Buch von John Steinbeck mit dem Titel „Wonniger Donnerstag“. Wie stehen Sie zum Donnerstag nach 40 Jahren Stadtparlament, das, soviel ich weiß, schon immer donnerstags getagt hat?

Brum: Donnerstag war für mich immer Stresstag, voller Ungewissheiten auch, welche kritischen Fragen, welche wichtigen Entscheidungen abends dann kommen oder auch nicht kommen werden.

Und was machen Sie jetzt am wonnigen Donnerstag?

Brum: Ich bin jetzt frei. In Zukunft genieße ich jeden Donnerstag als wonnigen Tag - abends mit einem Glas französischem Rotwein.

Da denkt man sofort an die Freundschaft mit Epinay. 40 Jahre Kommunalpolitik, das sind auch 40 Jahre Städtepartnerschaften.

Brum: Ja, die Städtepartnerschaften sind eine Herzensangelegenheit von mir. Epinay, Rushmoor, Lomonossow, auch Ursem, unsere Stierstädter Stadtteilpartnerschaft. Ich habe in allen Partnerstädten viele gute Freunde, die ich gerne besuche. Als aktives Mitglied im Städtepartnerschaftsverein werde ich dies auch in den kommenden Jahren weiter tun.

Bleibt Gioia del Colle ein Traum?

Brum: Gioia del Colle ist noch ein italienischer Traum, der aufgrund von Corona bisher noch nicht wahr werden konnte. Ich hoffe aber, dass wir dies bald nachholen können und damit eine neue Städtepartnerschaft begründen werden.

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