Oberursel (js). Es war einmal an einem Freitagmorgen, so etwa kurz nach zehn … Spannender Anfang, oder? So fängt auf jeden Fall das Märchen an, das Edith Schäfer immer wieder erzählen muss. Und tatsächlich, es wird eine reichlich skurrile Geschichte, die sich aus einem kurzen aufmerksamen Moment an jenem Freitagmorgen im Februar entwickelt. Zwei Damen, die später im Text höchstens noch einmal am Rande erwähnt werden, spielen darin eine Hauptrolle.
Ganz kurz nur, aber ohne sie und ihre Aufmerksamkeit hätte die Story mit Sicherheit eine ganz andere Entwicklung genommen. Es wäre vielleicht von einem Bücherfreak zu erzählen, der unversehens auf einen Schatz stößt, nachdem er zwei Euro für eine fragwürdige olle literarische Kamelle auf einem kleinen Flohmarkt bezahlt hat. Oder von einem, der den Schatz zerschreddert in irgendeinem Altpapierhaufen findet. Vielleicht wäre auch gar nichts zu erzählen, weil keiner die Geschichte gefunden hätte zwischen Bergen längst gelesener Worte und Sätze in längst vergessenen Büchern.
Es war also an einem Freitagmorgen in der Stadtbücherei Oberursel am Marktplatz, um endlich etwas tiefer in das Märchen einzusteigen. Nach den zwei aufmerksamen Damen treten eine dritte Dame vom Förderverein und die Chefin des Hauses auf, bis sich die Sache plötzlich verselbstständigt und sogar ungebetene Gäste auftauchen. Skurrile Leute, die Märchen erfinden, aus der Kur anrufen und Räuberpistolen auftischen, „rustikale Damen“, die bei Stadtrat Christof Fink vorsprechen und seltsame Erwartungen äußern, Männer in militärischen Tarnzügen, die mit Geländewagen und ledernem Geldkoffer vor dem Haus der Bücher auftauchen und kurzfristig Schrecken verbreiten. Oh ja, das alles, weil, wir kommen zurück zum Kern, zwei Damen möglicherweise über einen spannenden Buchtitel gestolpert sind. Zugegeben, ein bisschen frivol kommt er daher, „Unter deutschen Betten“ lautet er, da könnte ja was rumkommen.
Nun aber genug der Rätsel.
An jenem Freitagmorgen im Februar also denkt sich die Dame, die zum Werk von Justyna Polanska mit dem Untertitel „Eine polnische Putzfrau packt aus“ greift, da guck ich doch mal rein. Ist nur bedingt ihre Aufgabe, sie muss vor allem checken, ob das Buch noch in Ordnung ist und auf den Flohmarkttisch kann oder ob es in die Kategorie „Nicht verkäuflich“ fällt. Dann würde es sofort zum Altpapier wandern. Daumen hoch, und siehe da, lugt da doch plötzlich ein „Fünfhunderter“ zwischen den Seiten hervor. Echt, wie Edith Schäfer vom Vorstand des Fördervereins später beim Gang zur Bank feststellen lässt, nicht gefälscht, nicht geklaut, richtig echt. Wie auch die anderen 20 „Fünfhunderter“ die nach und nach aus den Seiten mit den Bettgeschichten der polnischen Putzfrau purzeln.
Was tun? Die rechtschaffenen Damen von Stadtbücherei und Förderverein, ehrlich bis unter die Haut, spazieren, wie sich das gehört, zum Fundbüro im Rathaus, erstatten Meldung über den überraschenden Fund und geben die 10 500 Euro auf Heller und Pfennig ab. Das ist der Moment, an dem der skurrile Teil der Geschichte mit den schrägen Figuren beginnt, die alle die 21 Fünfhunderter aus Versehen bei der polnischen Putzfrau unter dem deutschen Bett geparkt haben wollten. Und die Spende an die Stadtbücherei eigentlich nur als Bücherspende ohne geldwerten Vorteil für den Flohmarkt gedacht war. Bundesweit wurde die Geschichte vom außergewöhnlichen Geldfund über viele Medien verbreitet und hat in der Folge jede Menge schräge Vögel auf den Plan gerufen, die auf ein Flohmarkt-Schnäppchen aus waren. Gleichwohl, die sechsmonatige Aufbewahrungsfrist ist abgelaufen, nicht ein Vogel konnte die korrekten Angaben machen. Abgabetag, ungefähre Uhrzeit, Höhe des Geldbetrags, alles Fehlanzeige. Nicht mal an die polnische Putzfrau konnten sie sich erinnern.
Was tun, sprach Fink schließlich und besprach sich mit dem Magistrat, denn unversehens hat Paragraf 978 1 BGB der Stadt als Behörde den Eigentumsanspruch am Fund zugesprochen, dem Förderverein hätten nur schlappe 325 Euro Finderlohn zugestanden, der polnischen Putzfrau gar nichts. Also wurde entschieden, dem Förderverein die komplette Fundsumme zu überlassen. Der gibt’s an die Stadtbücherei weiter, das ist schließlich seine Daseinsfunktion. Mit Flohmärkten, die sonst die Spendensummen erwirtschaften, war ja in Corona-Zeiten kein Geschäft zu machen. Nun kann wieder in die Leseförderung von Kindern investiert werden und natürlich in den Ankauf neuer Medien. Ab November sollen übrigens wieder kleine Flohmärkte stattfinden, kündigt Edith Schäfer an. Neue Bücherspenden sind erwünscht, durchaus auch mit Einlagen.