Kronberg. – Der Industriedesigner Dieter Rams erinnert zu seinem 90. Geburtstag am 20. Mai an die Anforderungen für eine gute Gestaltung. „Ein 90. Geburtstag ist keine Selbstverständlichkeit, wenn wir Menschen auch immer älter werden. Ich möchte aus diesem Anlass einmal mehr auf mein Anliegen zur Gestaltung unserer Dingwelten hinweisen“, sagt der Jubilar, der mit seiner Ehefrau Ingeborg in Kronberg lebt. Er habe das Glück, seit etwa 70 Jahren gestalterisch arbeiten zu können. „Das hatte oft mit Glück, häufiger aber auch mit den vielen Menschen zu tun, mit denen zusammen ich in meinem Leben die Gelegenheit hatte, Vorschläge für eine etwas bessere Welt zu machen“, erzählt er. Dieter Rams war lange für das Unternehmen Braun tätig und bis heute noch für das Unternehmen Vitsœ, das seit über 60 Jahren seine Möbelentwürfe herstellt und sie weltweit via Internet verkauft.
Dass Umweltgestaltung – und das ist Produktgestaltung – einer Haltung bedarf, sollte allgemein bekannt sein, meint er. „Meine habe ich schon vor vielen Jahren in drei Wörtern zusammengefasst: ,weniger, aber besser‘.“ Die Menschen sollten sich auf weniger, aber brauchbarere, nützlichere, umweltschonendere, universellere und dabei auch faszinierendere Dinge einlassen, so seine Überzeugung. Letzteres ist seiner Auffassung nach der Schlüssel, um gedankenlosen Konsum in einen verantwortungsvollen Konsum zu verändern. „Wir müssen von der Unkultur des Überflusses, der Verschwendung, der Billigkeit im Wortsinn, aber auch im übertragenen Sinne wegkommen. Das bedeutet, dass wir mehr Dinge benötigen, die wirklich das sind und das leisten, was die Benutzer von ihnen erhoffen: Erleichterung, Erweiterung, Intensivierung des Lebens. Und das mit möglichst geringem, ressourcenschonendem Aufwand.“
Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit ist in Rams Augen die schlimmste Sünde, die ein Gestalter oder eine Gestalterin begehen kann. Die zweitschlimmste sei „eine Fahrlässigkeit gegenüber der natürlichen Umwelt im Ganzen“. Erst jetzt, wo eine existenzielle Klima- und Umweltkrise nicht mehr zu leugnen sei, scheine das Thema auch bei der Politik angekommen zu sein, ohne dass da schon Einigkeit bestünde.
Der Industriedesigner bezeichnet sich selbst nicht als Pessimist. Im Gegenteil, er sei Optimist mit der Einstellung, dass ein verantwortungsvolles und gut gemachtes Design das Leben der Menschen besser machen könne. „An einem neuen Zugang und an einem neuen Zugriff auf die Welt müssen wir aber alle arbeiten“, fordert er.
Zum 90. Geburtstags hat Rams die von ihm und seiner Frau vor einigen Jahren gegründete „Dieter und Ingeborg Rams Stiftung“ materiell deutlich handlungsfähiger gemacht. Britte Siepenkothen, die der Stiftung über 28 Jahre als Vorstandsmitglied angehört, sie mit aufgebaut und laut Rams „sehr engagiert und verdienstvoll begleitet hat“, tritt in diesem Jahr in den Ruhestand. „Zusammen mit dem nun geschäftsführenden Vorstand Prof. Dr. Klaus Klemp und einem neu zu berufenden Kuratorium, zunächst aus meiner Frau und mir sowie Arch. Dipl.-Ing. Till Schneider, werde ich in den nächsten Monaten über neue Handlungsfelder zur Förderung für eine bessere Gestaltung nachdenken“, kündigt er an. Dabei sollen zunächst ausschließlich eigene Projekte fokussiert und auf den Weg gebracht werden. „Unsere Stiftung ist im Verhältnis zu anderen Kulturstiftungen zwar immer noch klein, aber vielleicht können wir mit meinem zuvor Gesagten dazu beitragen, den Stein zu einer besseren Zukunft weiter ins Rollen zu bringen“, verleiht er seiner Hoffnung Ausdruck.
Das Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, hat zum 90. Geburtstag seine Dauerausstellung zu Dieter Rams neu eingerichtet. Erstmals werden dabei die wichtigsten Produkte und Entwürfe von Dieter Rams zusammen mit den Fotografien seiner Ehefrau Ingeborg gezeigt werden. Ingeborg Kracht kam 1957, nach einer Ausbildung im Atelier der Theater-, Architektur- und Werbefotografin Grete Hamer in Bochum und einem verkürzten Studium an der Essener Folkwang-Werkkunstschule, zur Fotoabteilung von Braun, wo sie zusammen mit Marlene Schneyder und Ursula Sehring weiter an der Entwicklung und Verbesserung der Produktfotografie arbeitete. Nach dem Ausscheiden von Marlene Schneyder 1959 war sie zusammen mit Ulf Beckert, Wilfried Indinger und Pit Schumann für die fotografische Darstellung der Braun Produkte zuständig.
Eine zweite aktuelle Ausstellung ist die von der Dieter und Ingeborg Rams Stiftung organisierte Ausstellung „Dieter Rams. Ein Blick zurück und voraus“, die im zweiten Halbjahr 2021 im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main gezeigt wurde. Sie wird vom Frühjahr 2022 bis zum Frühjahr 2023 von fünf Goethe-Instituten in den USA gezeigt werden. Dabei soll vor allem auch mit Designhochschulen, in Workshops mit Studentinnen und Studenten, kooperiert werden. (mw)