Filiz Mahner, eine Chefin, die anpackt

Von ihrem Arbeitsplatz aus schaut die Leiterin des Tagungszentrums der IG Bau, Filiz Mahner, hinaus auf die Felder und Wiesen rund um Steinbach. Foto: HB

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Ob Politiker oder Sportler, Künstler oder Engagierte in Vereinen, Verbänden und Institutionen: Es gibt viele interessante Köpfe in der Stadt, über die nicht so häufig berichtet wird. Ihnen wollen wir uns in dieser Serie widmen. Heute steht Filiz Mahner, Leiterin der Tagungsstätte der IG Bauen-Agrar-Umwelt, im Mittelpunkt.

Hinter dem Eingang zum Tagungs- und Bildungszentrum in der Waldstraße liegen Kinderroller auf dem Boden. Auch ein Basketball daneben irritiert ein wenig. Es sind Eindrücke, die auf Anhieb nicht zu einer Akademie passen wollen, in der normalerweise Themen wie künstliche Intelligenz und Globalisierung auf dem Seminarplan stehen. Doch zurzeit bietet die Akademie Menschen aus der Ukrai ne eine Unterkunft, die vor dem dort herrschenden Krieg flüchten mussten.

Mit solchen Ereignissen konnte Filiz Mahner wirklich nicht rechnen, als sie das Stellenangebot der IG Bau akzeptierte und die Leitung der Bildungsstätte im Steinbacher Feld übernahm. Als Geschäftsführerin hatte die damals 51 Jahre alte Führungskraft bis dato noch nicht gearbeitet. Inzwischen leitet sie das Bildungswerk der IG seit drei Jahren und übernimmt damit die Verantwortung für ein Veranstaltungsprogramm mit zeitgemäßen Themen. Zu Beginn ihrer Arbeit konnte sie sich nicht vorstellen, Gäste einmal auf Ukrainisch zu begrüßen und ihnen zu versichern, sie müssten keine Angst mehr haben. Doch so war es, als sie Mitte März mehr als 50 Menschen aufnahm, die der Krieg aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Doch Filiz Mahner hat sich der zusätzlichen Herausforderung gestellt und ist so etwas wie eine „Herbergsmutter“ für neun Frauen, acht Kinder und drei Männer aus der Ukraine, die bis vergangene Woche im oberen Stockwerk der Tagungsstätte eine Bleibe gefunden haben. Manche dieser Gäste hätten ihr gesagt, sie fühlten sich wie im Urlaub und versuchten auf diese Weise die schlimmen Erlebnisse von Zuhause zu kaschieren, glaubt Mahner. Die Leiterin des Bildungszentrums hat ihnen professionelle Hilfe von Psychologen und Seelsorgern angeboten. Diese ist bislang nicht gewünscht worden, doch die Steinbacher Flüchtlingshilfe bietet seit vergangener Woche vor Ort Sprechstunden an.

Filiz Mahner weiß, was es bedeutet, seine Heimat zu verlassen. Sie wurde 1968 in der türkischen Schwarzmeerregion geboren und kam als Siebenjährige nach Frankfurt, wo ihr Vater Arbeit bei der Höchst AG fand. In der „Rotfabrik“ hat sie eine kaufmännische Lehre absolviert und danach in Bockenheim studiert und ihren Abschluss in Jura gemacht. Mit dieser Befähigung konnte sie in Arbeitsgerichtsverfahren auftreten und empfahl sich für Leitungsfunktionen in Personalabteilungen. Bevor sie nach Steinbach kam, war sie stellvertretende Personalchefin und Datenschutzbeauftragte in einem Betrieb mit 600 Mitarbeitern in Groß-Gerau. Wenn Filiz Mahner von ihrem Schreibtisch nach rechts schaut, freut sie sich über ein geschenktes Gemälde, das roten Klatschmohn zeigt, den sie genauso mag wie Gladiolen, Sonnenblumen und Lavendel. Daneben hängt das Foto einer Dünenlandschaft mit einem rot-weißen Leuchtturm im Hintergrund – für sie ein Sinnbild für Ruhe und Frieden, für eine entschleunigte Welt. Vor ihrem Bürofenster liegt ein Teich, den sie während des dreimonatigen Lockdowns, ganz am Anfang der Coronazeit, mit der Belegschaft revitalisiert hat. Damals organisierte sie auch die Generalüberholung des ganzen Komplexes. Es wurde gestrichen und geschrubbt, wer nähen konnte, fertigte Schutzmasken. Die Chefin packte bei diesem kollektiven Kraftakt selbstverständlich mit an.

Vor der Pandemie waren die knapp 90 Zimmer der Bildungseinrichtung zu 80 Prozent ausgebucht. Danach schrumpfte die Quote auf 20 Prozent. Deshalb hat Filiz Mahner die Entscheidung des Bundesvorstandes, die Akademie für Flüchtlinge zu öffnen, nicht nur begrüßt, sondern aus humanitären Gründen für zwingend notwendig erachtet. Der Seminarbetrieb kommt nun langsam wieder in Schwung. Es sind nicht nur Betriebsräte sondern auch Firmenmanager, die Termine buchen. Doch das traditionelle Sommerfest wird frühestens 2023 stattfinden können. Dann sollen die Steinbacher wieder in den Park kommen, um Musik zu hören, Spaß mit Kindern zu haben und Bier samt Bockwurst im Grünen zu genießen.

Filiz Mahner hat in diesen Wochen viele Menschen kennengelernt. Ihr Haus ist zur Anlaufstelle für spendierfreudige Steinbacher geworden. Kleiderspenden sind mittlerweile auf vier Räume verteilt. Für Kinder gibt es ein Spielzimmer. Das Nebeneinander von Akademie und Flüchtlingsheim erfordert Organisationstalent und eine ruhige Hand. Die Mahner spricht von einer „anspruchsvollen Aufgabe“. Um ihr gerecht zu werden, gibt sie alles.



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