Besucher können Hölderlins Lebensweg folgen

Der junge Friedrich Hölderlin im Jahr 1786 auf einer kolorierten Zeichnung. Repro: ks

Bad Homburg (ks). Die Hölderlin-Ausstellung in der Englischen Kirche ist im doppelten Sinne eine Wanderausstellung. Sie wird an Orten gezeigt, die mit dem Leben des Dichters in Verbindung stehen, und ermuntert den Besucher zugleich, seinem Lebensweg zu folgen und 13 Orte seiner Jugend und seines späteren Wirkens kennenzulernen; dort Menschen zu begegnen, die für ihn wichtig waren und sich in Zeugnisse seiner Dichtkunst zu vertiefen, die in jenen Jahren entstanden sind. Friedrich Hölderlin, der am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren wurde, entstammte einer wohlhabenden frommen Familie, die zur „württembergischen Ehrbarkeit“ zählte, wie die Oberschicht damals genannt wurde. Der Vater war Klosterverwalter, die Mutter eine Pfarrerstochter, war von dem Wunsch beseelt, dass auch ihr ältester Sohn Pfarrer werden sollte. Nach dem frühen Tod des Gatten heiratete sie ein zweites Mal, doch auch der Stiefvater, von „Fritz“ sehr geliebt, starb nach wenigen Jahren, und so blieb die Verantwortung für seine Erziehung ganz der Mutter überlassen.

Friedrich Hölderlin war ein fleißiger Schüler, der jeweils zwei Jahre unter dem strengen und lieblosen Regiment der Klosterschulen in Nürtingen, Denkendorf und Maulbronn verbrachte und nur in den Ferien nach Haus zurückkehren durfte. Ab 1788 folgen die Studienjahre am Evangelischen Stift in Tübingen, die er zusammen mit Friedrich Hegel und Wilhelm Schelling verbrachte, die er von der Lateinschule in Nürtingen her kannte. Die drei Freunde konnten sich ein gemeinsames „heizbares“ Zimmer leisten, damals ein großer Luxus. „Die Stiftler gehen in schwarzen Kleidern, Mänteln und Priesterläppchen umher, wie wenn sie alle Augenblicke die Kanzel besteigen wollten. In in diesem Habit findet man sie überall... “ hatte ein Unbekannter in seinem Reisetagebuch vermerkt. Hölderlin war mit Louise Nast verlobt, löste diese Verbindung aber wieder auf. Er hatte zwar eine neue Liebe gefunden, erklärte aber in einem Brief an seine Mutter zugleich, dass er „seit Jahr und Tagen fest im Sinne habe, nie zu freien“. Diesem Vorsatz ist er treu geblieben.

Zu diesen Studienjahren gehören die ersten Arbeiten an seinem Briefroman „Hyperion“ die „Tübinger Hymnen“ sowie Reisen in die Schweiz, ins Kernland der „göttlichen Freiheit“, die er im Gedicht „Kanton Schweiz“ verewigt hat. Er hatte seine Mutter zwar beschworen, ihm den Wechsel zum Jurastudium zu erlauben, aber sie blieb hart. Obwohl er „die Galeere der Theologie“ nicht liebte, schloss er nach fünf Jahren sein Studium erfolgreich ab und erwarb seinen Magister in Philosophie. Das Studium in Tübingen wurde mit Stipendien finanziert und war mit der Verpflichtung verbunden, Pfarrer zu werden. Es gab wenig Möglichkeiten, einer Rückzahlung zu entgehen, und da Friedrich Hölderlin um keinen Preis Pfarrer werden wollte, blieb ihm nur der Ausweg, Hauslehrer oder „Haushofmeisters“ reicher Familien zu werden, der ab 1793 sein Leben bestimmen sollte.

Es wurden „Wanderjahre“, die ihn immer wieder in finanzielle Nöte brachten, die er ohne Unterstützung seiner Mutter nicht hätte meistern können. Seine erste Stelle bei der Familie von Kalb in Waltershausen verlief glücklos, weil sein Schüler sehr schwierig war. Hölderlin reiste nach Jena, hörte dort Vorlesungen des Philosophen Fichte und begegnete Persönlichkeiten wie Novalis und Schiller. Ein Begegnung mit Wolfgang von Goethe verlief indes völlig schief, weil Hölderlin nur Augen für Friedrich Schiller hatte und Goethe ignorierte. Dieser wurde nie sein Freund. Jena war nicht der erste Ort, den Hölderlin fluchtartig verließ, um nach Nürtingen zur Familie zurückzukehren.

1796 wurde für ihn zum „Schicksalsjahr“, das mit Frankfurt und zugleich auch mit Homburg verbunden ist. Als Hauslehrer der Bankiersfamilie Gontard in Frankfurt wurde die Dame des Hauses, Susette, seine große Liebe und zum Vorbild der „Diotima“ in Gedichten und dem Briefroman „Hyperion“. Es war den beiden Liebenden eine relativ unbeschwerte Zeit vergönnt, ehe die Affäre aufflog und Hölderlin aus dem Haus verbannt wurde. Er fand Zuflucht bei seinem Freund Isaak von Sinclair in Homburg, der in den Diensten des Landgrafen stand. Die Liebenden konnten sich nun nur noch heimlich sehen, wenn Hölderlin nach dem Marsch von 22 Kilometern Susette im Schatten einer Hecke treffen und vielleicht auch nur am Fenster sehen konnte. Hölderlin war völlig mittellos, wieder auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen und schließlich gezwungen, erneut als Hauslehrer tätig zu werden. Er gab die Stelle in der Schweiz nach drei Monaten wieder auf in der Hoffnung, seine Gedichte veröffentlichen zu können. Doch das gelang nicht, und so machte er sich 1802 zu Fuß auf den Weg nach Bordeaux, um Hauslehrer bei einem reichen deutschen Weinhändler zu werden. Es konnte bis heute nicht geklärt werden, warum er nach wenigen Monaten „verwahrlost und verwirrt“ zurückkam, obwohl er sich zunächst begeistert über die Stelle und die Stadt geäußert hatte. Wieder einmal kehrte Hölderlin nach Nürtingen zu Mutter und Schwester zurück, die den „offensichtlich Kranken“ aufnahmen, der inzwischen erfahren hatte, dass sich Susette Gontard an den Röteln ihrer Kinder angesteckt hatte und gestorben war.

Diese Jahre zwischen 1802 und 1804 gelten dennoch als sehr produktive Phase, in der „Vaterländische Gesänge“, „Hymnische Entwürfe“ und die „Nachtgesänge entstanden sind sowie auch das schöne Gedicht „Hälfte des Lebens“. Hinzu kamen Sophokles-Übersetzungen und theoretische Schriften zur Tragödie und die Anlage des „Homburger Folioheftes“. 1804 holte ihn Isaak von Sinclair noch einmal nach Homburg. Er verschaffte ihm die Stelle als Hofbibliothekar und zahlte sein Gehalt aus eigener Tasche. 1805 wurde Sinclair wegen seiner politischen Gesinnung in einen „Hochverratsprozess“ verwickelt, der jedoch ergebnislos verlief. Ein Homburger Arzt bescheinigte dem Württemberger Hölderlin, „dass er ‚krank und zerrüttet‘ sei, und die Ermittlungen gegen ihn wurden ebenfalls eingestellt. Hölderlins Gesundheitszustand hatte sich inzwischen so verschlechtert, dass Sinclair im Sommer 1806 die Mutter bat, den Sohn abholen zu lassen, weil er selbst sich nicht mehr um ihn kümmern könne. Da dieser nicht freiwillig gehen wollte, brachte man ihn mit Gewalt in die Autenriethsche Klinik in Tübingen. Die Ärzte hielten ihn für wahnsinnig und prophezeiten seinen baldigen Tod. Wie gründlich sie sich irrten: 36 lange Jahre verbrachte Hölderlin in der Turmstube am Neckarufer bei der Familie des Schreiners Ernst Zimmer, bis zu seinem Tod am 7. Juni 1843 von der Familie liebevoll gepflegt.

„Was es mit seiner geistigen ‚Verrückung‘ auf sich hatte, woran er genau litt, kann bis heute nicht geklärt werden“, heißt es am Schluss des Begleitbuchs zu Ausstellung, das man Hölderlin-Freunden empfiehlt, weil es, reichlich mit Bildern geschmückt, ein informativer und verlässlicher Begleiter auf dieser „Wanderung“ zu Lebensstationen Hölderlins ist. Wenn man sich umsieht, liest und hört, wie sich so gut wie alle Künste mit Programmen an diesem Hölderlin-Jubiläum im Jahr 2020 beteiligen, findet man seinen „prophetischen“ Ausspruch bestätigt: „Was aber bleibt, stiften die Dichter.“

!Die Ausstellung „Wohl geh ich täglich andere Pfade – Friedrich Hölderlin und seine Orte“ in der Englischen Kirche am Ferdinandsplatz dauert bis zum 19. Juli und ist donnerstags und freitags von 16 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Das Begleitbuch wurde von Ingrid Dolde und Eva Ehrenfeld herausgegeben. Es ist bei Chr. Belser Gesellschaft für Verlagsgeschäfte GmbH und Co. KG Stuttgart 2019 erschienen und im Buchhandel erhältlich.

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