So mancher Leser der Kelkheimer Zeitung wird stutzen, wenn er einen Blick auf diesen Artikel wirft. Ein Text in Interview-Form? Warum nicht? Florian Stendebach, angehender Journalist und Verfasser von vielen Bewerbungen, den wir baten, sich mit der 18jährigen Kelkheimer Studentin Sonja Marschall in Verbindung zu setzen, schlug diesen Bericht als Interview vor. Hier ist die Arbeit des jungen Kollegen.
Sonja Marschall ist zwar erst 18 Jahre alt, aber bereits eine erfolgreiche Kinderbuch-autorin. Die Medizinstudentin lebt in Kelkheim und brachte vor zwei Jahren ihr erstes Buch heraus: „Lotte und die Chemo-Männchen“. Als eines ihrer Babysitter-Kinder an Krebs erkrankte beschloss sie, ein Krebsbuch für Familien zu schreiben das helfen soll, den Kindern die Krankheit zu erklären. Jetzt gibt es Neues von ihr: Mit „Mateo und die Körperpolizei“ und „Lino, Maja und die Löwenherzen“ schrieb die Kelkheimerin zwei Bücher, die sich Allergien und Herzfehlern von Kindern widmen. Im Gespräch mit Florian Stendebach erzählt sie, wie sie mit den Ängsten und Sorgen von Kindern umgeht, die krank werden, und wie sie es schafft, neben dem fordernden Medizinstudium auch noch als Schriftstellerin tätig zu sein.
„Frau Marschall, dieses Jahr erscheinen Ihre neuesten Kinderbücher: „Lino, Maja und die Löwenherzen“ und „Mateo und die Körperpolizei“. Worum geht es in den Büchern?“
„Lino, Maja und die Löwenherzen“ ist eine Geschichte, die Herzfehler erklären soll, vor allem angeborene Herzfehler, aber auch, wie es auf den Stationen im Krankenhaus ist und was mit den Kindern passiert, die länger da sind. „Mateo und die Körperpolizei“ ist ein Kinderbuch über Allergien. Davon gibt es im Moment viele.“
„Warum haben Sie sich ausgerechnet für diese Themen entschieden?“
„Herzfehler sind im Moment häufig. Ungefähr ein Kind von Hundert erkrankt daran, wenn es geboren wird. Wenn man das hochrechnet, ist das eine große Zahl. Und von Allergien ist mittlerweile fast jedes vierte Kind betroffen.“
„Warum empfinden Sie das Thema „Allergien“ genauso relevant und wichtig wie Herzfehler und Krebs?“
„Ich mache das Buch nicht für eine große Verkaufszahl. Mich freut es, wenn es einer Familie hilft, besser zu verstehen, was eigentlich das Problem ist – oder vielleicht Antworten auf die Fragen zu finden, bei denen die Eltern gar nicht so genau wissen, wie sie die erklären können. Dafür sind die Bücher primär da. Solche Erkrankungen, zumindest Allergien, begleiten einen ja meistens ein Leben lang.“
„Wie gut können Herzfehler in Deutschland behandelt werden?“
„In „Lino, Maja und die Löwenherzen“ geht es hauptsächlich um einen sehr, sehr schweren Herzfehler, der nicht so häufig ist: Das Hypoplastische Linksherzsyndrom. Wenn die linke Herzkammer viel zu klein, also nicht richtig ausgeprägt ist, dann kommt nicht mehr so viel Blut an. Solche Sachen sind schon schwerer. Vieles wird über mehrere Jahre in mehrschrittigen Operationen behandelt und dabei kann natürlich viel schief gehen, es kann aber auch funktionieren.“
„Wurden Ihre beiden neuen Bücher auch aus Ihren persönlichen Erfahrungen beeinflusst, wie bei „Lotte und die Chemo-Männchen?“
„Es war jetzt nicht der Fall, dass ich in meinem Umfeld ein Kind mit einem Herzfehler hatte und mir gedacht habe: Das widme ich dem. Bei Allergien auch nicht. Natürlich kenne ich Kinder, die Allergien haben. Grundsätzlich ist es mehr das Leben auf den Stationen, das ich in meinen Praktika kennengelernt habe, und das in meine Arbeit einfließt.“
„Wie haben Sie sich diesmal auf das Schreiben vorbereitet?“
„Ich habe mich mit Leuten ausgetauscht, die sich gut auskennen, also mit Ärzten, Pflegekräften oder Psychologen.“
„Lassen Sie uns über Ihr erstes Buch sprechen, das 2019 erschienen ist: „Lotte und die Chemo-Männchen“. Wie schwer war es für Sie zu sehen, dass das eigene Babysitter-Kind an Krebs erkrankt ist?“
„Ich war natürlich noch jünger, beim ersten Buch war ich 14 Jahre alt. Wenn so etwas passiert, ist es meine Art, damit umzugehen, etwas dagegen machen zu wollen. Das war wahrscheinlich auch der Antrieb, warum ich so ein Buch geschrieben habe. Mir persönlich bringt es nicht so viel, den Kopf in den Sand zu stecken und nichts mehr zu tun.“
„Haben Sie beim Thema Krebs, besonders wenn es um Kinder geht, immer durchweg positives Feedback bekommen oder wurde auch mal gesagt, dass das eigentlich viel zu heftig für die Kleinen ist?“
„Ich denke, es gibt unterschiedliche Meinungen dazu. Es sind meistens Erwachsene, die sagen, dass sie sich das überhaupt nicht gut vorstellen können. Ich finde das ein bisschen schwierig, weil ich glaube, dass die das meistens gar nicht auf die Kinder beziehen, sondern dass viele Erwachsene selbst ein Problem damit oder negative Assoziationen haben. Zu Recht auch. Aber ich denke, das ist der falsche Ansatz und wenn man die Kinder selbst fragt, dann sind sie häufig viel, viel offener mit einer solchen Erkrankung. Sie wollen im Gegenteil eher wissen, was das Problem ist oder was sie auch selbst tun können. Ich habe mir das immer so vorgestellt, dass man in einem Boxring steht und seinen Gegner gar nicht sehen kann. Dann ist es viel schwieriger, einen Kampf zu gewinnen. Ich glaube, dass Kinder auf ihre Fragen einfach gerne Antworten hätten. Ansonsten bilden sie sich Fantasien ein und die sind im Zweifelsfall viel, viel blöder und ungesünder, als wenn man sagt, was Sache ist.“
„Was für Fantasien könnten das sein?“
„Die Kinder können Sachen dramatisieren, die vielleicht überhaupt gar nicht so schlimm sind. Kinder sind sensibel, spüren Stimmungen und interpretieren viel. Eine Diagnose wie Krebs ist ein wahnsinniger Schlag und da sind ganz viele Emotionen mit dabei, die Kinder wahrnehmen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die positiven Stimmungen auf den Stationen primär von den Kindern ausgelöst werden. Ich glaube, das müssen Eltern erstmal lernen und deswegen ist es wichtig, dass man gleich von vornherein ehrlich ist.“
„In einem Bericht über Sie hieß es an anderer Stelle mal, dass Krebs immer noch ein Tabu-Thema ist. Warum ist das in Deutschland so?“
„Es ist keine schöne Krankheit, das muss man niemandem erklären, aber es gibt auch viel Positives dabei: Hoffnung und die Kraft, die man nach so einer Krankheit mitnimmt. Aber auch Zuversicht und der Zusammenhalt, der in Familien in solchen Zeiten entsteht. Fast jede zweite Familie hat einen Fall von Krebs im Umfeld, da bringt es nichts, die Tür zuzumachen. Irgendwie betrifft es jeden.“
„Was hat die Protagonistin Lotte aus Ihrem Kinderbuch, die Sie zum Schreiben inspiriert hat, mit Lotte aus Ihrem echten Leben gemeinsam?“
„Auf jeden Fall die offene Art. Auch ihr grundsätzliches Interesse. Ich konnte viel von ihr lernen, wie sie mit der Erkrankung umgegangen ist.“
„Für welches Alter sind die Bücher am besten geeignet?“
„Beim ersten haben wir vier Jahre drauf geschrieben, ich finde, das ist schon arg früh. Grundsätzlich würde ich sagen, dass man das ab fünf Jahren schon mal machen kann.“
„Sie studieren Medizin und sind auch noch als Rettungssanitäterin tätig. Wie schaffen Sie es, auch noch parallel Bücher zu schreiben?“
„Wenn ich Zeit finde, dann mache ich das. Im Moment habe ich viel Zeit, das wird sich vielleicht wieder ändern.“
„Gibt es denn schon bald ein neues Buch?“
„Ja, tatsächlich schon. Ich habe jetzt eines über einen Herzinfarkt geschrieben. Das Studium ist online im Moment und wir haben insgesamt weniger Uni. Dadurch kann man sich die Zeit besser einteilen.“
„Klingt ja, als würde es mit dem Bücherschreiben immer so richtig flutschen. Wie lange brauchen Sie denn für ein Exemplar?“
„Um ein Manuskript zu schreiben, brauche ich tatsächlich gar nicht so lange. Natürlich sitzt man schon etwas länger dran, als wenn man einen normalen Fließtext schreibt. Aber das letzte habe ich in zwei, drei Tagen geschrieben. Das ist flott gemacht. Der größere Teil ist dann später das Illustrieren“.
„Haben Sie sich eigentlich erst für ein Medizinstudium entschieden, nachdem Sie mit der Krebserkrankung Ihres Babysitter-Kinds in Berührung gekommen sind und das erste Buch geschrieben haben?“
„Nein, gar nicht, das habe ich schon im Kindergarten immer gewollt und gesagt, dass ich das machen möchte: Kinderärztin werden.“
„Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Schriftstellerinnen-Tätigkeit noch? Soll es noch lange so weitergehen bestenfalls?“
„Mir macht es viel Spaß. Ich weiß nicht, ob ich immer nur Kinderbücher über Krankheiten schreiben möchte oder mich auch mal an etwas anderes setze…“
„Zum Beispiel?“
„Ich denke, vielleicht auch mal etwas ohne Moral, ohne Schwersinn, sondern einfach mal etwas Leichtes, etwas zum Lachen. Das kann ich mir gut vorstellen.“
„Zum Schluss noch die Frage: Was sind Ihre persönlichen beruflichen Ziele? Später als Ärztin arbeiten?“
„Ja, das auf jeden Fall. Was ich mir nicht gut vorstellen kann, das ist ein Leben lang eine reine klinische Tätigkeit. Durch den Rettungsdienst habe ich gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, draußen auf der Straße aktiv zu sein. Eine notärztliche Tätigkeit ist cool. Rein fachlich mache ich auf jeden Fall etwas mit Kindern, vielleicht Frühchen. Das finde ich schön. Oder eine Kinderhospiz-Tätigkeit.“
„Frau Marschall, vielen Dank für das Gespräch.“
Das Interview führte Florian Stendebach.
„Mateo und die Körperpolizei“ (19,99 €) und „Lino, Maja und die Löwenherzen“ (19,99 €; auch als eBook erhältlich) erscheinen im medhochzwei Verlag und sind überall verfügbar oder vorbestellbar. Für ihre Leistungen wurde Sonja Marschall mit dem „Young Women in Public Affairs-Award Zonta 2019“ ausgezeichnet, ein Preis für junge Frauen, die sich besonders engagieren. Sie ist außerdem Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes.Foto:Stendebach