Kelkheim (ju) – Etwas verloren stehen Tetyana Fischer und Oxana Stürmer im ehemaligen Feuerwehrhaus in Kelkheim-Münster. Hier startete am 1. März 2022 eine beispielhafte Hilfsaktion, die bewies, dass Solidarität, Empathie, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit keine Fremdwörter für die Kelkheimer sind. Jetzt wird das Gebäude abgerissen und weicht einer Wohnbebauung. Eine „Abrissparty“ am vergangenen Samstag sollte den Bau noch einmal würdigen.
Putin bringt Krieg in die Ukraine
Am 24. Februar 2022 überfielen russische Soldaten die souveräne Ukraine, Millionen Menschen, vor allen Dingen Frauen und Kinder, flüchteten vor dem Bombenhagel des Aggressors an die Grenzen von Polen, Ungarn, Moldavien. Das unsägliche Leid flimmerte allabendlich über die Bildschirme und rüttelte an den Grundfesten unseres Glaubens. An den Glauben, dass wir in friedlicher Koexistenz mit allen Ländern dieser Welt leben können. Und nicht, dass in „unserem“ Europa plötzlich Raketen fliegen, Bomben fallen, Städte und Dörfer zerstört werden und Menschen sterben. In einem bewegenden Aufruf bat damals Evgenij Voznyuk, selbst Ukrainer, die Kelkheimer und alle anderen, zu helfen. Der Tänzer machte sich große Sorgen um seine Eltern, die in der schwer umkämpften Stadt Charkiw festsaßen und rief mit vielen anderen Unterstützern die Aktion „Hilfe für die Ukraine“ ins Leben.
Feuerwehrgerätehaus als Lager
Damit trat auch das seit Jahren leerstehende Feuerwehrhaus in Münster in den Mittelpunkt. Bürgermeister Albrecht Kündiger stellte das Gemäuer als Lager zur Verfügung, hier wurden Hilfsgüter gesammelt, sortiert und auf 40-Tonner verladen. Viele, viele Kelkheimer halfen damals mit Spenden, aber auch mit Manneskraft und vielfältiger finanzieller Unterstützung. Gebraucht wurde alles, von Babynahrung über Windeln bis hin zu warmen Anziehsachen und kleinen Snacks. Die Hilfsbereitschaft war und ist ungebrochen, nur eines hat sich geändert. Die Ukrainerin Tetyana Fischer und die Russin Oxana Stürmer gründen den Verein „Gemeinsam für die Ukraine“ und gaben der Ukrainehilfe mehr Struktur und demonstrierten damit nach außen: Wir sind Freunde, keine Feinde. Durch ihre Verbindungen in die Ukraine konnte Fischer erfahren, was am dringensten benötigt wird. Aus den Transporten mit Hilfsgütern wurden bald Frachten mit medizinischem Material, Krankenbetten, OP-Geräten und allem, was in den Krankenhäusern an der Front benötigt wird. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Johannitern war es sogar möglich, Krankenwagen in die umkämpften Gebiete zu bringen. „Wir helfen dort, wo das Leid am größten ist“, erklärt die Eppenhainerin. Inzwischen haben sie Kontakt zu 40 Krankenhäusern, kriegen gezielte Anfragen für benötigte Hilfsmittel. Und in Kelkheim und Frankfurt wächst ein Team zusammen, bestehend aus Russen, Ukrainern und Deutschen, das die Organisation und Koordinierung der Hilfstransporte Hand in Hand mit den Unterstützern plant und umsetzt. „Wir haben unglaublich viele Engel in unserem Team, die alles so koordiniert vorbereiten, dass die Helfer in der Ukraine gezielt die Güter verteilen können, ohne lange hin- und herräumen zu müssen“, freuen sich die beiden Frauen.
24 Hilfstransporte
Seit Kriegsbeginn gingen bis zum heutigen Tag 24 Hilfstransporte mit insgesamt 291 Tonnen Ladung in das kriegsgeplagte Land. Dazu überführten Vereinsmitglieder 8 Fahrzeuge (7 Rettungsfahrzeuge plus 1 Gerätekraftwagen-Sanität). Zielpunkte der Spendengüter waren Kramatorsk, Pawlograd, Zhovti Vody und das Gebiet um Cherson. „Außerdem berücksichtigen wir bei unseren Hilfslieferungen auch noch sechs Waisenhäuser, zwei Kindergärten und ein Mutter-und-Kind-Heim“, erzählt eine bewegte Tetyana Fischer. Ihr machen die Berichte aus ihrem Heimatland zu schaffen. Dieses Land, das derzeit zweigeteilt ist. „Im Westen findet kein dauerhafter Beschuss statt, ganz im Gegensatz zum Osten. Dort tobt der Krieg unvermindert, dort spürt und sieht man das Leid“, weiß sie, auch von ihren Besuchen vor Ort. Dort wurde ihr von Soldaten berichtet, dass diese offenen Hass in den Augen der russischen Soldaten wahrnehmen. Hass auf die Ukrainer, durch russische Propaganda in die Köpfe der Soldaten gepflanzt. „Wir jedoch kämpfen nicht aus Hass gegen die Russen, sondern aus Liebe zu den Menschen, die hinter uns stehen“, bringt es Tetyana Fischer auf den Punkt. „Der Wille ist ungebrochen, es gibt keine Alternative als den Sieg.“
Auf die ukrainischen Frauen angesprochen, die in Kelkheim mit ihren Kindern eine zweite Heimat gefunden haben, wird die Ehrenamtlerin nachdenklich. „Viele sagen, sie müssen sich endgültig entscheiden, entweder zurückgehen und die Kinder dem Leid und Elend aussetzen oder hier Wurzeln schlagen, den Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen – sie selbst wollen arbeiten. Das ist wirklich nichts, was sie sich einfach machen.“
Dankbar für die Unterstützung
Emotional geht es an diesem Tag zu. Tetyana Fischer und Oxana Stürmer haben die Wände des alten Feuerwehrhauses mit bunten Bildern „geschmückt“. Sie dokumentieren die Hilfstransporte und den Einsatz der Menschen, zeigen dankbare Ukrainer, die die Hilfsgüter entladen und ihrer Bestimmung zuführen. In einer kleinen Rede bedankte sich Tetyana Fischer nicht nur bei den Kelkheimern, sondern auch bei dem Verein „Miteinander leben in Kelkheim“, bei der Bürgerstiftung, bei Evgenij Voznyuk, bei der Stimme für Ruppertshain, beim Ausländerbeirat und natürlich auch bei der Feuerwehr, die häufig schnell und ohne viel Aufhebens geholfen hatte. Für Bürgermeister Albrecht Kündiger hatte sie Danksagungen dabei, vom Bürgermeister von Dnipro und von Krankenhäusern aus der Umgebung. Sie werden einen ehrenvollen Platz im Rathaus bekommen. Der Rathauschef machte eindringlich deutlich, dass der Krieg nicht vorbei sei, dass weiterhin Hilfe benötigt wird. Damit die Transporte aufrecht erhalten werden können, darf der Verein in ein oder zwei Monaten das ehemalige Feuerwehrhaus in Eppenhain in Beschlag nehmen. Noch heute zeigt er sich begeistert von der Hilfe der Bevölkerung: „Das hat wirklich Grenzen gesprengt, was hier von den Kelkheimerinnen und Kelkheimern, aber auch von Menschen aus den Nachbargemeinden gespendet wurde.“
Da derzeit kein Lager für Hilfsgüter zur Verfügung steht, setzt der Verein auf Geldspenden. „Denn natürlich kosten die Transporte Geld. Um die 3.500 Euro zahlen wir pro 40-Tonner. Da sind wir natürlich auf Spenden angewiesen“, werben die beiden Frauen. Und so trennen sie und die Helfer sich an diesem Tag mit einem weinenden und einem lachenden Auge vom alten Feuerwehrgerätehaus – eine Ära geht zu Ende, doch wie sagte schon Oscar Wilde: „Am Ende wird alles gut – und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.” Sie werden weitermachen, bis Frieden in der Ukraine herrscht.