Kelkheim – Stadt gegen Rassismus

Ein erster Entwurf, so wie er im Antrag des Ausländerbeirates eingereicht wurde. Foto: Stadt

Kelkheim
(ju) – „Rassismus ist eine Ideologie, die Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion abwertet. In Deutschland betrifft das nicht-weiße Menschen – jene, die als nicht-deutsch, also vermeintlich nicht wirklich zugehörig angesehen werden. Wenn Menschen nicht nach ihren individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften oder danach, was sie persönlich tun, sondern als Teil einer vermeintlich homogenen Gruppe beurteilt und abgewertet werden, dann ist das Rassismus.“ So steht es auf der Internetseite der Amadeu Antonio Stiftung und es stimmt. Rassismus zieht sich durch alle Kulturen, alle Schichten, durch die Zeit. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, dem entgegen zu treten.

Der Kelkheimer Ausländerbeirat beantragte in einer der letzten Stadtverordnetenversammlungen, dass die Ortsschilder in Kelkheim um eine Formulierung ergänzt werden sollen: „Stadt gegen Rassismus“. Diesem Wunsch entsprach das Parlament, allerdings wird dieser Zusatz nicht auf den Ortsschildern direkt stehen, sondern ein separates Schild nimmt die Formulierung auf. Damit setze die Stadt ein deutliches, ein sichtbares Zeichen gegen die Diskriminierung anderer Menschen.

Dem Beschluss vorangegangen war ein emotionaler Auftritt der stellvertretenden Vorsitzenden des Ausländerbeirates, Salomé Korschinowski. In ihrer Rede erinnerte sie die anwesenden Parlamentarier und die Besucher daran, dass 70 Jahre nachdem das Nazi-Regime in Deutschland besiegt wurde, Rassismus im deutschen Alltag wieder salonfähig geworden sei. Und wenn wir ehrlich wären, war er wahrscheinlich nie weg. Nur eines hätte sich geändert: Damals, nach den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992, seien Millionen von Menschen auf die Straßen gegangen und haben Lichterketten gebildet. Mittlerweile höre sie dagegen immer öfter: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen, was man denkt“.

Kelkheim sei nicht Rostock. Rostock sei weit weg. „Wir leben in einem der reichsten Kreise in ganz Deutschland. Und Kelkheim ist eine gute Stadt, mit vielen guten Menschen“, weiß sie.

Warum also dieses Schild? Warum könnte da nicht lieber „Möbelstadt“ auf dem Ortsschild stehen oder „Herzlich Willkommen“ oder „Vorfahrt für Kinder“? Oder noch besser: für Vielfalt? Da seien schließlich dann auch alle mit gemeint: die Freunde der Diversity wie die Freunde der Artenvielfalt auf den Kelkheimer Streuobstwiesen.

Es gäbe so viele wichtige Anliegen in dieser Stadt, ist sie sich sicher. Warum da so ein negatives Wort?

Man habe im Ausländerbeirat viel darüber diskutiert. Neulich hätte ihr ein in Kelkheim lebender Ausländer, weiß, aus Europa, gesagt, dass er persönlich noch nie Rassismus in Kelkheim erlebt habe. Sie verstehe das gut. Es sei eben schwer, sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, Rassismus persönlich zu erfahren. Und dann erzählt sie die Geschichte von Nina, die 11 Jahre alt ist, im Bad Sodener Kreiskrankenhaus geboren wurde und in die sechste Klasse einer Kelkheimer Gesamtschule geht. Nina hat Träume, so wie jedes Kind in ihrem Alter. Sie möchte später einmal studieren. Vielleicht will sie Rechtsanwältin werden. Oder Ärztin. Auf jeden Fall will sie anderen Menschen helfen.

Doch die Direktorin der Schule sagt ihren Eltern, sie dürfe nicht auf‘s Gymnasium. Nina werde das nicht schaffen. Es könnten ja schließlich nicht alle im Leben studieren. Ninas Eltern kämen doch aus Nordrhein-Westfalen, da sei es doch sinnvoller, wenn sie eine Lehre mache, etwas Nützliches, das sie gebrauchen könne, wenn sie wieder nach Hause zurückgehe.

Nina heißt aber nicht Nina. Nina heißt Zola, und sie kommt aus Somalia. Sie wird nie wieder nach Hause gehen. Denn zu Hause ist sie in Kelkheim.

Und dann wendet sie sich direkt an die Politikerinnen und Politiker im Parlament und fragt sie: „Was glauben Sie, wie fühlt sie sich, Zola? Und wie fühlt es sich an, zu erfahren, dass niemand an einen glaubt? Man ganz alleine ist. Nicht dazugehört?.“

Wenn sie sich im Saal umschaue, sehe sie viele weiße Menschen. „Sie sehen anders aus als ich. Bin ich auch anders als Sie?“, fragt sie.

„Was würden Sie tun, wenn mich jemand auf der Straße oder beim Rewe anspricht und sagt, ich solle wieder dahin gehen, wo ich herkomme? Was würden Sie sagen, wenn mich in der S-Bahn jemand anstarrt und mich rassistisch beleidigt? Ich bin mir sicher, viele von Ihnen würden aufstehen und die Stimme erheben. Ich bin mir sicher, Sie würden auch nicht sagen: Entschuldigung der Herr, wir sind hier für Vielfalt. Nein, Sie würden sagen: „Stop – in Kelkheim dulden wir keinen Rassismus.“ Und darum ginge es bei ihrem Antrag.

Einige hätten ihr im Vorfeld gesagt: „Rassismus klingt zu negativ“. Sie hätten im Ausländerbeirat darüber und intensiv diskutiert. „Aber wissen Sie was? Rassismus klingt nicht nur negativ, es fühlt sich auch verdammt negativ an. Nur eines, das müssen Sie mir glauben, fühlt sich noch negativer an als Rassismus: Und zwar, wenn die anderen Menschen, die Guten, die Freunde, nicht helfen. Sich enthalten“, entgegnet sie emotional.

Sie sei sich sicher, dass viele der Anwesenden solche Beispiele aus ihrem eigenen Leben kennen, wenn es ihnen schlecht ging. Dann hätten sie sicherlich aussortiert. Schließlich gäbe es hier in Deutschland die Redewendung von den „wahren Freunden“.

„Nina, oder besser Zola, hatte Menschen, die ihr geholfen haben. Engagierte Kelkheimer haben ihr Nachhilfe gegeben. Sie hat gelernt. Mittlerweile studiert sie in Frankfurt Politikwissenschaften“, erzählt Salomé Korschinowski die Geschichte zu Ende.

Rassismuserfahrungen seien immer noch Bestandteil des Alltags vieler Menschen, auch in Kelkheim und von daher sei es an der Zeit, ein sichtbares Zeichen zu setzen, Haltung zu zeigen.

Das haben die Parlamentarier getan.



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