Ein Ort mit Seele – aus einer Kirche wird ein Kindergarten

Die Kinder haben viele Bilder von ihrem „Baustellenalltag“ gemalt und in der neuen Kita ausgestellt. Der sakrale Raum ist lichtdurchflutet und bietet nach seiner Fertigstellung ausreichend Platz für die Gläubigen. Vom Bewegungsraum aus haben die Kinder einen beeindruckenden Blick auf die alten Bleiglasfenster. Fotos: Judith Ulbricht

Ruppertshain (ju) – Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine alte Kirche – einst ein Raum der Stille, jetzt voll fröhlichem Kinderlachen. Zwischen den hohen, ehrwürdigen Mauern schieben sich moderne, würfelförmige Räume wie Bauklötze in das Kirchenschiff. Sie stehen mal gedreht, mal gestapelt, als hätte jemand eine Runde Tetris mitten im sakralen Raum gespielt.

Die glatten, hellen Holzflächen der neuen Kuben stehen im reizvollen Kontrast zum alten Gemäuer – ein Spiel aus Alt und Neu, das erstaunlich harmonisch wirkt. Und obwohl die Einbauten den Raum strukturieren, bleibt das Erhabene der Kirche spürbar. Immer wieder öffnen sich kleine Sichtachsen – und plötzlich fällt der Blick auf die bunten Bleiglasfenster, die hoch über den Köpfen thronen wie stille Wächter.

Wenn die Sonne durch diese Fenster scheint, tanzen Farbkleckse aus Licht auf dem Boden der Kita. Weit entfernt von düster – hier flutet warmes Licht in die Räume, umspielt die kindgerechten Möbel, wärmt die Atmosphäre. Ein heiliger Ort, neu gedacht: nicht mehr nur für Andacht, sondern für Aufbruch und kindliche Entdeckungslust.

Feierliche Eröffnung

So sahen es auch die vielen Besucher, die vergangenen Freitag zur feierlichen Eröffnung der Kita kamen. Überall hörte man überraschtes Staunen, mit großen Augen wurden die neuen Räume durchstreift, im Bewegungsraum eroberten einige Kinder die neuen Sportgeräte. Mandatsträger stellten fest, dass der Kindergarten großartig geworden und jeden Cent wert sei. Man konnte förmlich die Aufbruchstimmung spüren, die nicht nur das Kita-Team gepackt hatte, sondern den ganzen Ort.

Es ist ein nicht ganz so stilles Wunder, das sich in Ruppertshain vollzogen hat. Nicht jeder konnte sich vorstellen, was Bistum und Stadt da bewerkstelligen wollten. Es gab einigen politischen Unmut (siehe Kasten), doch am Ende einer langen Bauzeit, die ohne die Hilfe vieler Ehrenamtlicher gar nicht möglich gewesen wäre, ist aus einem Ort der Andacht und Besinnung ein lichtdurchflutetes, fröhlich pulsierendes Kinderhaus geworden. Toller Nebeneffekt – die Kirche hat ihre Würde, ihre Schönheit und ihren besonderen Geist bewahrt. Die neue Kita Sancta Maria ist ein mutiges, liebevoll umgesetztes Herzensprojekt, ein Leuchtturmprojekt, wie es Barbara Lecht, Leiterin der neu gegründeten Katholischen Region Taunus in Worte fasste – mit viel Geschichte, viel Menschlichkeit und noch mehr Zukunft.

Eine lange Geschichte

Die Wurzeln dieser Geschichte reichen bis ins Jahr 1946 zurück. Damals gründete Pfarrer Atzert den ersten Kindergarten in Ruppertshain – in einer ehemaligen Soldatenbaracke, neben der alten Kirche. Mit einfachster Ausstattung und viel Einsatz wurde daraus über die Jahre ein Ort, an dem Generationen von Kindern spielten, sangen und für das Leben lernten. In den 1950er-Jahren wurde dann mit dem Bau des Kindergartens Sancta Maria begonnen, der über Jahrzehnte hinweg das Herz des Ortes war.

Doch die Jahre gingen nicht spurlos vorbei. Das Gebäude entsprach irgendwann nicht mehr den heutigen Anforderungen – weder pädagogisch noch sicherheitstechnisch. Eine Lösung musste her, aber nicht irgendeine: Der Kindergarten sollte im Ort bleiben. Für die Menschen in Ruppertshain, für die Familien, für die Kinder.

Und so entstand eine ungewöhnliche, aber wunderschöne Idee, die hier in der Region einzigartig ist: Warum nicht die Kirche selbst umnutzen? Zu groß für den sonntäglichen Gottesdienst, aber voller Geschichte und Raum für Neues. Der Gedanke nahm Gestalt an. Mit dem Architekten Helmut Mohr begann die Planung 2016. Im Jahr 2021 startete die Bauphase – mit viel Fingerspitzengefühl wurde das Kircheninnere entkernt und in nachhaltiger Holzbauweise ein neues Geschoss eingezogen. Nachhaltigkeit wurde bei dem Umbau großgeschrieben, wie Peter Neuhaus berichtet – einer der Ehrenamtlichen, der stets als Erster auf der Baustelle war und als Letzter den Hammer fallen ließ.

Bei einem Rundgang plaudert Neuhaus entspannt über die monatelangen Arbeiten. Im neu geschaffenen sakralen Raum auf der Rückseite der Kirche zeigt er, was Nachhaltigkeit bedeutet. Aus dem alten Altar wurde ein neuer, kleinerer gefertigt, ebenso ein Taufstein. Die alten Holzbänke werden demnächst als Wandvertäfelung den Raum schmücken. Neuhaus ist sichtlich angetan von dem, was entstanden ist. Auch an die Kirchenmusik ist gedacht – wieder nachhaltig. Die alte Orgel aus der St. Dionysius Kirche in Münster wird im sakralen Raum ein neues Zuhause finden. Dann richtet Neuhaus seinen Blick nach oben: Noch versperrt eine Folie den Durchblick, aber „wenn die erstmal weg ist, hat man durch ein eingebautes Fenster einen tollen Blick auf die alten Bleiglasfenster“.

Alles findet wieder zusammen

Und auch wenn an diesem Tag noch wenige Kinder durch die Räume toben, kann man erahnen, wie hier die Zukunft aussieht. Gepackt haben die Kids schon. „Symbolisch durfte jedes Kind sein Lieblingsspielzeug in eine große Kiste packen, die dann schon mal hier rüberziehen durfte“, berichtet Claudia Krüger, Kita-Trägervertreterin der Pfarrei St. Franziskus. Auch ihr merkt man die große Vorfreude auf das, was da kommt, an.

Es wurden an diesem Tag viele Reden gehalten, viele Glückwünsche verteilt, viele Menschen hervorgehoben. Bürgermeister Kündiger lobte wiederholt die schönste Kita in der Region und war sich sicher, „dass die Anmeldezahlen in die Höhe schießen werden“. All den Unkenrufen zum Trotz: „Das wird nie was!“, „Das kann man nicht finanzieren!“ und „Viel zu dunkel!“ ist das Musterprojekt des Bistums Limburg jetzt ein Vorzeigeprojekt, was auch dem Langmut von Stefan Muth, Bereichsleiter und Diözesanbaumeister des Bischöflichen Ordinariats Limburg, zu verdanken ist, der immer und immer wieder aufklärte, erläuterte und sich nie aus der Ruhe bringen ließ. Und was gehört am Ende zu einem rundum gelungenen Einweihungsfestakt? Natürlich, der Segen. Pfarrer Klaus Waldeck beginnt mit leisen Worten. Er spricht von Schutz, von Geborgenheit, von Vertrauen. Von der Hoffnung, dass diese Kita mehr wird als nur ein Ort zum Spielen und Lernen – dass sie ein Raum des Wachstums wird, ein sicherer Hafen, ein kleines Stück Zuhause. Dann taucht er den Klöppel ins Wasser und geht langsam durch die Räume. Am Ende kehrt er zurück zur Mitte. Er lächelt, blickt in die Runde. „Und nun,“ sagt er mit sanfter Stimme, „dürfen die Kinder diesen Ort mit Leben füllen.“ Und für einen Moment liegt in diesem alten, neu gedachten Raum etwas in der Luft, das man nicht messen, nicht planen, nicht bauen kann: Segen, ganz greifbar.

Platz für 75 Kinder

Die neue Kita bietet Platz für bis zu 75 Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren, aufgeteilt auf drei Stockwerke. Ein Personenaufzug macht das Gebäude barrierefrei. Große Gruppenräume, ein Bewegungsraum, eine Indoor-Spielzone, Rückzugsorte und ein Multifunktionsraum mit Kinderküche laden zum Entdecken ein. Selbst die sanitären Anlagen wurden komplett neu gestaltet – kindgerecht, modern, zukunftstauglich.

Herzstück ist das helle Foyer, in dem sich morgens alle versammeln, zum Singen, zum Erzählen, zum Ankommen. Die Küche sorgt dafür, dass die Kinder mit warmem Essen versorgt sind – ein Stück Geborgenheit mehr im Alltag. Für das pädagogische Team gibt es ein Büro, ein Personalzimmer und einen Elternsprechraum, der den Austausch mit den Familien erleichtert.

Draußen entsteht derzeit ein inklusives Außengelände, das im Sommer fertiggestellt werden soll – mit Platz zum Toben, Spielen, Matschen. Auch das ist ein wichtiger Teil dieser neuen Kita: Offenheit für alle, Bewegung, Natur. Spätestens dann wird es ein großes Fest geben, zu dem vielleicht auch Bischof Georg Bätzing vorbeischauen wird. „Wir sind dazu in Gesprächen und guter Hoffnung“, verrät Pfarrer Waldeck.

Geleitet wird die Einrichtung von Kerstin Starey, die mit ihrem Team aus neun pädagogischen Fachkräften und zwei Hauswirtschaftskräften für eine liebevolle und professionelle Betreuung sorgt. Träger ist weiterhin die Pfarrei St. Franziskus, die in Kelkheim insgesamt sechs Kindertagesstätten verantwortet.

So wird das Projekt „Kita in der Kirche“ ein Ort, der verbindet. Ein Haus, das leuchtet. Eine Kita, die mehr ist als nur Betreuung – sie ist ein Zuhause auf Zeit. Für Kinder. Für Familien. Für Ruppertshain.

Weitere Artikelbilder



X