Die einen profitieren, die anderen bangen: Corona hinterlässt Spuren im Kelkheimer Einzelhandel

Kelkheim (sk) – Die Corona-Pandemie kann dem Kelkheimer Gewerbe nichts anhaben – könnte man meinen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass bis jetzt kein Geschäft seine Türen für immer schließen musste, im Gegenteil: „Es gab keine Abmeldungen im Gewerbe, jedoch einige Neuanmeldungen“, sagt Christine Michel von der Wirtschaftsförderung der Stadt Kelkheim. Beispielsweise habe in der ehemaligen Schlecker-Filiale in der Hornauer Straße ein türkischer Lebensmittelladen eröffnet, in der Frankfurter Straße bietet die Stoff-Oase seit Dezember ihre Waren zur Abholung an.

Ein paar Hausnummern weiter betreiben die Eheleute Maria Piñeiro und Jesus Sanmiguel seit Ende Oktober einen Wein- und Feinkosthandel, benannt nach ihren Initialen: „SP“. Dort verkaufen sie nicht nur Wein und Spirituosen, sondern auch Essig, Olivenöl und Schokolade und auch mal kombiniert: Zartbitterschokolade mit Olivenöl. Fast sämtliche Produkte beziehen sie aus dem nordspanischen Galizien. „Die erste Woche war gut“, sagt Sanmiguel, der den kleinen Laden am 24. Oktober gemeinsam mit seiner Frau eröffnet hat. Dann kam der am 2. November und mit den verschärften Corona-Maßnahmen und den Gastronomie-Schließungen verdüsterte sich die Lage, auch für ihn, obwohl sein Geschäft geöffnet bleiben kann. „Man sieht kaum jemanden auf der Straße“, stellt Sanmiguel fest. „Die Leute haben Angst“, fügt er hinzu. Die klirrende Kälte trage ihr Übriges bei. Gerade mal sechs Kunden hätten vergangene Woche bei ihm eingekauft.

Er ist trotzdem guter Dinge: „Ich bin zuversichtlich, dass es aufwärts geht, wenn sich die Situation bessert und mehr Menschen geimpft sind“, sagt Sanmiguel, der sein Geschäft nebenbei betreibt, nur nachmittags geöffnet hat, weil er und seine Frau in Vollzeit berufstätig sind. Die Kosten für den kleinen Verkaufsraum mit gerade mal 25 Quadratmetern seien überschaubar.

Weniger optimistisch ist Armin Hofmann, seit 28 Jahren Inhaber von „Hofmann‘s Second Hand Spielzeug“ in der Frankfurter Straße. Zu ihm kamen die Kinder samstags mit ihrem Sparschwein und haben den Inhalt in Legosteine oder ein Playmobilfigürchen investiert. „Es macht unheimlich viel Spaß, wenn Kinder glücklich sind“, sagt er. Auch Leute mit Sammelleidenschaft haben bei ihm eingekauft, denn neben tausenden Lego- und Playmobilfiguren, einigen Puppenküchen, Eisenbahnen und vielem mehr hat der 61-jährige antikes Blechspielzeug im Angebot, das er leidenschaftlich sammelt.

Der Laden, laut Hofmann „klein, aber voll“, ist für ihn „mehr Liebhaberei“, finanziell nicht einträglich, mit den Einnahmen konnte er die Kosten decken, mehr nicht. Und die Einnahmen, die fehlen nun seit 16. Dezember vergangenen Jahres. Fatal für Hofmann: „Die letzte Woche vor Weihnachten, das war das Weihnachtsgeschäft: Wenn es mit der Amazon-Bestellung zu knapp wird, gehen die Leute in die kleinen Läden“, sagt er. Er steht jetzt auch mittwochsnachmittags im Laden, um zuvor telefonisch bestellte Ware zu überreichen. Einen Onlinevertrieb konnte er nicht urplötzlich aus dem Boden stampfen, die coronabedingte Geschäftsschließung kam zu kurzfristig.

Gewerbetreibenden wie ihm will die Vereinigung Kelkheimer Selbständiger (VKS) unter die Arme greifen, selbst wenn sie nicht Mitglied sind: „Wir werden virtuell einen Workshop anbieten, um zu zeigen, wie einfach man einen Online-Shop eröffnen kann“, kündigt der Vorsitzende Rainer Brestel an. Er sei wöchentlich in Kontakt mit IHK und Handelsverband und überlege auch gemeinsam mit der Stadt Kelkheim, wie der Handel unterstützt werden kann. „Wir arbeiten eng mit der VKS zusammen“, bestätigt Christine Michel von der Wirtschaftsförderung. Unter anderem wolle man mit einer im Amtsblatt veröffentlichten Liste der Lieferdienste den Einzelhandel unterstützen. Gemeinsam mit dem Gewerbeverein seien auch die Ortseingangstafeln entstanden, die unter den Rubriken „Einkaufen“, „Ausgehen“ und „Zusammenhalten“ die Aufmerksamkeit auf das heimische Angebot lenken. Konkrete Infos zu Abhol- und Lieferservice der einzelnen Anbieter, aufgeschlüsselt nach Branchen, sind im virtuellen Schaufenster auf der vks-Website zu finden, nebst aktueller Speisekarte der ausliefernden Restaurants.

Nicht nur VKS-Mitglieder können das Angebote nutzen und so ihren Betrieb bewerben. Die Stadt Kelkheim finanziert Nicht-Mitgliedern den Basisauftritt. Olaf Czirr koordiniert das Schaufenster, betreut die VKS-Website und hat auch die App für das Kelkheimer Schaufenster entwickelt, die Mitte Januar online ging.

Wenn er sich nicht geraden für den Gewerbeverein engagiert handelt er mit Wein. Gemeinsam mit seiner Frau Karin betreibt er den Australien Wine Store. Und er kann nicht klagen, trotz Corona – im Gegenteil: er spricht von einem „nicht unerheblichen Zuwachs“ und einer „Steigerung auf allen Kanälen“. Das liege daran, dass das Unternehmen breit aufgestellt sei, sowohl im Einzel- als auch im Großhandel aktiv und „weil viel über online läuft“, sagt Czirr, der seine Weine und Feinkostwaren wie Chutneys und Dips schon vor der Pandemie über die Website verkauft hat. Und auch das Ladengeschäft der Czirrs, das nicht von den Schließungen betroffen war, profitiert: Viele, die wegen Homeoffice enger an Kelkheim gebunden sind, die schauen, was noch geöffnet ist und finden so dann auch mal den Weg zu uns“, stellt der Weinhändler fest.

Der Weg dorthin führt allerdings vorbei an vielen Läden, die wegen der Corona-Verordnungen nicht öffnen dürfen, darunter die Buchhandlung Pabst in der Frankfurter Straße. „Das wird ein ganz schwieriges Jahr“, sagt Inhaber Rüdiger Simon, dessen vierköpfiges Team nicht nur Bücher sondern auch Schreibwaren verkauft. „Wir werden alles probieren, um das Ladengeschäft weiterzuführen“, sagt er. Bestellen kann man per Fax, Telefon und E-Mail, ebenso online. Auf der Website ist das gesamte Sortiment des Großhändlers Libri hinterlegt, die Bücher können in der Regel einen Tag nach Bestellung im Laden abgeholt werden.

Das sogenannte „Click&Collect-Angebot werde angenommen, „aber es ist kein Vergleich zu sonst, wenn der Laden geöffnet ist“, sagt Simon, dem besonders das entgangene Weihnachtsgeschäft herbe Verluste bereitet hat. Er habe 20 Prozent des üblichen Umsatzes seit der Schließung Mitte Dezember, im Februar seien es sogar weniger als 20 Prozent gewesen.

Simon betreibt außerdem zwei weitere Läden in der Region: Den gleichen Umsatzrückgang musste er bei Lindlau Bürobedarf in Königstein feststellen. Bei „Buch und Papier Limberger“ in Kronberg macht er immerhin noch die Hälfte des üblichen Umsatzes, schon allein, weil der Laden auch Zeitschriften und Lotto anbietet und deshalb regulär öffnen darf.

Ganz ohne Ladengeschäft muss die „Klaamotte“ – „die kleine Motte“ auf hessisch –

derzeit ihre maßgeschneiderten Blusen und Hemden aus Biobaumwolle in den Verkauf bringen. Ein schwieriges Unterfangen, denn persönlich Maß nehmen, das wollte wegen Corona niemand mehr. „Katastrophal“ sei die Situation sagt Tina Jezeran, die die Klaamotte gemeinsam mit ihrem Mann Roland betreibt. Im einstigen Kaufhaus Rita Born haben die beiden ihre Kollektion präsentiert, dort wurde auch Maß genommen wurde.

Das wäre auch weiterhin bei der Kundschaft zuhause oder in örtlichen Schneidereien möglich. Aber nicht nur die Angst vor Ansteckung vermiest das Geschäft, sondern auch die generell sinkende Nachfrage weil viele zu Hause arbeiten, ohne Zwang zu Bluse und Kostüm oder Hemd, Anzug und Krawatte. Tina Jezeran berät telefonisch, Stammkunden haben ohnehin ihre Maße hinterlegt, Standard-Größen sind auch im Angebot. Die Hemden und Blusen lagern derzeit bei den Jezerans zuhause. Sie bieten die Abholung ihrer Blusen und Hemden an, liefern aber auf Wunsch auch in der näheren Umgebung aus, sogar kostenlos. Die beiden planen trotz der aktuell schwierigen Lage für die Zukunft, wollen im April ihr eigenes Ladengeschäft in der Bahnstraße eröffnen. Kelkheims Bürgermeister Albrecht Kündiger hofft, dass die Menschen den Weg zurück in den Einzelhandel finden. „Wer will, dass Kelkheim nicht zu einer Schlafstadt wird, muss vor Ort einkaufen“, betont er und appelliert an die Bevölkerung, bewusst den örtlichen Einzelhandel zu unterstützen.

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