1000 Mal „Berg Auf“ und immer noch mit Schwung

Der fröhliche Wandersmann in seiner zweiten (oder doch ersten?) Heimat. Foto: Streicher

Von Jürgen Streicher

Oberursel
. Ob Politiker oder Sportler, Künstler oder Engagierte in Vereinen, Verbänden und Institutionen: Es gibt viele interessante Köpfe in der Stadt, über die nicht so häufig berichtet wird. Ihnen wollen wir uns in dieser Serie widmen. Heute steht Bernd Rosenberger, Chef-Wanderer des Oberstedter Clubs „Berg Auf“ 1919, im Mittelpunkt.

Seine erste Wanderung? „Gute Frage“, sagt Bernd Rosenberger, überlegt. „Ich bin ja immer gelaufen.“ Ja, so ist das. Bernd Rosenberger läuft und läuft und läuft. Wie das Wandersmänner so machen. Früher, da sind die „jungen Buben“ noch mit Klampfen und Bändern losgezogen in den Taunus. Ohne Frauen. Am Sonntagmorgen um 8 Uhr im Frühtau zu Berge und abends um acht wieder zurück. Das war noch vor Bernd Rosenbergers Zeit, aber er erzählt gerne davon, es passt in sein Bild vom Wanderer. „Das Schönste ist das Genießen der Natur in allen Jahreszeiten.“ Das ist jetzt wieder ein Satz von ihm. Jeden Baum im Taunus kennt er, jeden Stein, die Landmarken hat er im Kopf, Karten und Wegweiser braucht er nicht. Bernd Rosenberger läuft, und wenn er genug gelaufen ist, geht er wieder nach Hause. Meist aber erst mal ins Wanderheim.

„Ich bin verheiratet mit dem Verein.“ Auch das ist, wie es ist, Punkt! Seine Frau Renate akzeptiert die zweite Liebe, sie hat gewusst, auf wen und was sie sich einlässt. Im Verein haben sie sich kennengelernt, 1958, Bernd Rosenberger hat das als „positives Erlebnis“ vermerkt. Gerade mal 19 Jahre alt war er da. Natürlich läuft sie mit, wenn sie sich fit in den Beinen fühlt, Wandergeist verbindet. Alleine würde Bernd Rosenberger nie wandern, das wäre ihm zu langweilig. Die „Kommunikation mit Menschen“ ist ihm wichtig. Aber auch die Demut, die zum Wandern gehöre. Die Momente der Stille beim Genießen der Natur von einem wunderbaren Aussichtspunkt aus. Etwa vom Treisberg aus das Hügelland hinunter, oder bei Limburg Paddelboote gucken auf der Lahn. Rosenberger hat auch früher in Österreich, in den Alpen in Ungarn „alle Seen abgewandert“, unzählige schöne Aussichtspunkte haben sich im Wandergedächtnis einen Platz verdient.

Bernd Rosenberger wandert. Nicht mehr ganz so flott mit seinen 80 Jahren, aber auch nach 1000 und einer Wanderung immer noch mit Schwung. Getreu dem Motto des Vereins: „Berg Auf“. Und später wieder ins Tal zurück. Wenn der Wanderclub „Berg Auf“ 1919 Oberstedten sich am Samstag im Wanderheim auf den Ochsenwiesen am Furtweg zur Advents- und Auszeichnungsfeier trifft, könnte sich der geborene Grenzgänger zwischen „Orschel“ und „Stedten“ mit Wohnsitz im Eichwäldchen gleich mehrfach selbst die Hand schütteln. Und ein bisschen von den „annern Zeiten“ erzählen, wie er gerne sagt. Ziemlich lang ist’s her, dass er sich mit 16 Jahren offiziell dem Verein anschloss. Bernd Rosenberger mag Kontinuität. In seinem Berufsleben als Fernmeldebeamter, in seinem anderen Leben als Wanderer und Vereinsmensch. Im 65. Jahr wandert er für seinen Club, leitet Touren und Wanderfahrten, „’64 ging das los mit mir im Vorstand“. 55 Jahre Vorstandsarbeit, bewegte Zeiten, bewegende Zeiten. Als Jugendwart ist er eingestiegen, später Wanderwart, dann Vize-Vorsitzender, seit 35 Jahren lenkt er den Club und kümmert sich noch um die Pressearbeit. So haben wir uns kennengelernt vor vielen Jahren. Und über die 1000. Wanderung geredet, die noch so weit in der Zukunft lag.

1000 Mal auf Schusters Rappen

Und zack, im Sommer war es soweit, Friedel Becker, der Wanderwart, der stets akribisch Buch führt über die Teilnehmer, hat’s ihm gesteckt. Von Steinfurth nach Oppershofen sind sie gelaufen, immer an der Wetter entlang und dann steil hoch nach Münzenberg. Rosenbergers 1000. offiziell verbuchte Tour unter dem Dach des Vereins, mit dem er verheiratet ist. Die vor dem 16. Lebensjahr, als er noch mit den „Vorfahren“, wie er sagt, gewandert ist, sind da gar nicht registriert. Und die anderen, mit dem Schweizer Freund etwa. „Ein Wanderer wandert immer, auch privat“, ist Bernd Rosenbergers Philosophie in dieser Sache.

Die „Tausend“ wird natürlich am Samstag gefeiert, einmal mehr wird es einen besonderen Eichel-Anhänger für die Sammlung geben, dem Vereinslogo mit drei Eichenblättern und Eichel-Frucht nachempfunden. Silber, Gold, Diamant, alles hat Bernd Rosenberger schon, „die Urkunden habe ich daheim alle gestapelt“. Danken wird der Vorsitzende für die Ehre und den Mitgliedern für ihre geleistete Arbeit beim Erhalt von Vereinsheim und dem schönen Feier-Garten drumherum. Arbeitstage werden auch als Wanderung gewertet, das ist der „Helfer-Bonus“, sagt der Chef. „Des iss ja, als würden sie wandern, rennen den ganzen Tag rum wie beim Wandern.“ Auf dem Gelände, das seit 1964 bewirtschaftet wird, gibt es immer wieder viel zu tun. Vor, bei und nach großen Festen, die gerne mit Freunden und Bekannten gefeiert werden, ganz besonders viel.

An der „Ahnentafel“ im Clubhaus sind solche Arbeiten verewigt, der Bau des Holzhauses 1964 etwa. Zwischen Bildern von Männern, denen der Club seine Existenz verdankt. Frauen waren damals 1919 noch nicht dabei, sie kamen erst 1947 bei der Neugründung nach der Nazizeit-Lücke dazu. An dieser Wand hinter dem Vorstandstisch hängt auch das Wanderpaar aus Holz, geschnitzt von „Wanderfreund Herbert Niederschuh“. Bilder von meist Männern mit großen Namen im Verein und im Ort. Der „aale Fischbach“ etwa, die Bubser-Brüder, Mitgründer Heinrich Kreibohm, der frühe Jugendleiter Paul Bingenheimer, der die Jugendgruppe ans fröhliche Wandern heranführte. Die Fotografien atmen den Hauch jener frühen Jahre, auch der schlichte Bau in Holzbauweise mit Schindeln und der Innenraum mit rustikalen Tischen, Stühlen und Eckbänken und den rot-weiß karierten Tischdecken. Urgemütlich eben, nur ein bisschen, als ob die Zeit stehengeblieben sei. Als ob es das Gasthaus „Zum Löwen“, den „Westerwälder Hof“ und die „Tante Anna“ immer noch wie damals gäbe. Oder gar das Gasthaus „Zum Scharfen Eck“, wo fünf junge Männer im März 1919 den Wanderclub „Berg Auf“ gegründet haben.

Jugend drängt in den Verein

Sentimentalität kennt Bernd Rosenberger nicht. Er blickt stets nach vorne, auch nach dem gesundheitlichen Rückschlag vom Sommer, als er kurz vor der 1000. Wanderung und der 100-Jahr-Feier im Krankenhaus operiert werden musste. Die Fäden hat er trotzdem gezogen, „ich konnte mich sehr auf meine Wanderer verlassen“. Loyalität ist ihm eminent wichtig. Rosenberger lässt sich immer für fünf Jahre wählen, denn „da kann man was stemmen“. Mit schöner Demokratie, aber am Ende auch mal diktatorisch mit Erklärung und einem freundlichen Lächeln. Von einem Abschied aus der Vorstandsarbeit hat er bisher nicht gesprochen. Jetzt, wo sich der Verein gerade verjüngt. Knapp 100 Mitglieder sind im Clubregister geführt, der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 70 Jahren. „Aber es sind wieder einige junge Männer dazu gekommen“, freut sich der alte Wandersmann. Ach? „Ja, die sind alle so um die 50, ein paar sogar noch jünger.“

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