Königstein (aks) – „...den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen
in Berg und Wald und Strom und Feld...“ So raunte das bekannte Volkslied von Joseph von Eichendorff (1822) – ein wenig verhalten, aber beeindruckend textsicher – durch die voll besetzten Reihen der Stadtbibliothek am Samstagnachmittag. Das Ehepaar Antje und Martin Schneider gab sich wieder einmal die Ehre, ihren Königsteiner „Fanclub“ mit einer amüsanten und erhellenden Lesung zum Thema „Reisen“ zu erfreuen.
An ihrer Seite die virtuose Pianistin Angela Stoll am Klavier, mit heiteren Kompositionen von Beethoven, Schumann, Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Künneke und Leoncavallo, deren Musikvortrag schon ein eigenes Programm gewesen wäre. Die Korrepetitorin begleitet den 80-jährigen Martin Schneider – früher Opernregisseur und Professor für Szenischen Unterricht an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin – und seine Frau Antje (72), die Buch- und Musikalienhändlerin war, seit vielen Jahren.
Gern gesehene Gäste
Alle drei waren aus Berlin angereist und freuten sich sichtlich über die Sympathien, die ihnen in der Stadtbibliothek, allen voran in Gestalt von Simone Hesse als „Gastgeberin“, entgegenschlugen. Das letzte Mal vor zwei Jahren hatten sie ihr Publikum mit einer sehr bewegenden Lesung zu Kurt Tucholsky begeistert – so viel Zeit brauchen sie, um immer wieder neue und alte Themen frisch und fröhlich und auch nachdenklich besinnlich vorzutragen.
Dass die beiden schauspielerisch talentierten Senioren sich bestens vorbereiten, versteht sich von selbst und zeigt ihre Liebe zur Literatur. Durch die Jahrhunderte gingen sie diesmal dem Reisen auf die Spur. Der Erzählbogen spannte sich von Albrecht Dürers Reisetagebuch 1520 über viele Anekdoten zu den beliebten Italienreisen des 18. und 19. Jahrhunderts bis hin zu den ironisch-sarkastischen Betrachtungen Eugen Roths im 20. Jahrhundert.
Das Programm trug die Überschrift „Wenn einer eine Reise tut“... denn genau dann hat er was zu erzählen. Nicht nur zu Mathias Claudius‘ Zeiten war das Reisen ebenso abenteuerlich wie beschwerlich. Was da genau auf einen zukam, konnte niemand vorher wissen. Gefahren und Unwägbarkeiten lauerten schon immer überall.
Reisen als Spiegel der Heimat
Während Albrecht Dürer 1520 mit Frau und Magd bis nach Venedig reiste und die meiste Zeit und Mühe damit verbrachte, Zollbriefe, Förderbriefe und Ledigbriefe für seine Weiterreise zu besorgen und dies in seinem Reisetagebuch festhielt, war es auch in späteren Jahrhunderten nicht so einfach und bequem – und günstig – wie heute, die Schönheiten der Welt zu entdecken. Immer galten Reiseerzählungen als spannend, berichteten sie doch den Daheimgebliebenen, wie es in der Fremde aussah.
Den Sinn des Reisens sahen viele Dichter im Spiegel der Heimat. So sagte Montaigne: „Der Sinn des Reisens ist die Wiederkehr“ und Novalis: „Wohin wir gehen, wir gehen nachhause.“ Erst die Bewegung macht das Reisen möglich und vergrößert so die Sichtweise und Bildung des Reisenden, einerlei, ob zu Fuß, per Kutsche, Eisenbahn oder Automobil. Kant: „Reisen entwöhnt von allen Vorurteilen“ und „wer reisen will, der muss Liebe zu Land und Leuten entgegenbringen“ (Theodor Fontane).
Im 18./19. Jahrhundert galt die Sehnsucht Italien. Man reiste per Postkutsche in vier Monaten oder einem ganzen Jahr vom Brenner nach Venedig, von dort nach Bologna, um anschließend als Höhepunkt die antike Schönheit Roms zu erforschen. Von dort zog man weiter nach Neapel, die als schönste Stadt Italiens galt, Ausflüge machte man nach Capri, an den Vesuv und nach Pompeji. Goethe beschreibt sehr anschaulich die mühselige Erklimmung des Vesuvs 1787 in Begleitung des berühmten Malers Tischbein (sein zugehöriges Goethe-Porträt hängt im Städel).
Tauben, Schutz und Regen
Schon bald wurden „Pauschalreisen“ angeboten, zu einem Festpreis für bestimmte Routen, inklusive Mahlzeiten in den Gasthäusern, in denen die Postillons Rast einlegten. Ganz unterschiedlich schilderten die Schriftsteller dieser Zeit ihre Eindrücke. Von „Schmutz und stinkendem Morast, unverschämten Völkern“ ist bei Grillparzer die Rede, aber dann war er doch ergriffen wie in einem „Fieberschauer“ vom Markusplatz bei Nacht. Die berühmt-berüchtigten Tauben dort, die sich den „hässlichen Gesellen auf den Schoß setzten“ wurden mit gemischten Gefühlen betrachtet.
Auch der 21-jährige Mendelssohn Bartholdy, damals bereits ein berühmter Komponist, weilte 1830 in Rom, beschrieb Rom als „wunderlieblich“, und war euphorisiert vom „Frühling im Dezember“, um acht Tage später ein Klagelied auf den Regen in dieser Stadt anzustimmen, der alles unter Wasser setzt.
Stendhal warnte vor Reisen nach Italien, da zu seiner Zeit immer wieder Reisende auf der Straße spurlos verschwanden. Er beschreibt die damalige Wegelagerei sehr spannend und präzise.
„Massenreisen“ dank Eisenbahn
Heinrich Heine war im 19. Jahrhundert verstört durch die Eisenbahnen, die nun Paris und die Region eroberten. Der Denker ist erschüttert, „wenn das Ungeheuerste geschieht mit unberechenbaren Folgen“, die Existenz werde in neue Gleise gerissen. Die Eisenbahnen sind nicht aufzuhalten, sie markieren den Beginn des modernen Reisens und des Massentourismus. So schreibt Fontane vor 150 Jahren bereits vom „Massenreisen“: „Jetzt reist jede und jeder.“
Andersen war ein Freund des Wanderns, Stefan Zweig warnte eindringlich schon am Anfang des 20. Jahrhunderts vor den Reisen auf „Kontrakt“, bei denen man „ohne den Finger zu rühren“, nicht reise, sondern gereist werde. So einfach könne es sich der moderne Mensch nicht machen, denn: „Alles Wesentliche wächst aus Mühe und Widerstand.“
Antje und Martin Schneider lasen vom Freud und Leid der Reisenden mit verteilten Rollen, mit guter Intonation und in schönster Harmonie und verliehen den längst vergangenen Anekdoten und Reiseberichten eine eindrückliche Stimme. Zum Schluss dann noch einmal Tucholsky: „Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.“